Von und für Schmetterlinge
Mein Märchenbuch
von
Katharina Pauly
Gewidmet Emilie-Océane
Meine kleine
Raupe
„Hinaus,
hinaus“, stöhnte die kleine Raupe, „sieben Tage lang nur Suppe, das ist genug.“
Die kleine Gelbe mit der stachligen Haut streckte sich und machte sich ganz
lang. Sie schaute nach rechts und links und kroch über das raue
Brennnesselblatt und sog dabei den Duft der Pflanze in sich ein. Hier war ihr
Zuhause, das spürte sie sofort, hier würde sie sich ein Dach über dem Kopf
bauen, dachte sie, denn sie musste sich vor Feinden schützen, vor allem die
Eidechse und der Vogel konnten ihr gefährlich werden. Leider gab es allzu
viele, die ihr gern zu Leibe rücken wollten, denen schien so eine kleine
unschuldige Raupe wohl besonders gut zu munden.
In
Windeseile knabberte sie ein großes Loch in das Blatt, auf dem sie saß. Sie
hatte Hunger, eigentlich hätte sie ohne Rast und Ruh weiter essen können, aber
sie war auch müde und so schmiegte sie sich in eine Nische.
Sie
sperrte ihren Mund weit auf und gähnte, als könnte sie die ganze Welt
verschlingen. Schlafen wollte sie, nur noch schlafen und schlafen, musste sie
sich doch von den Mühen, sich aus dem Ei zu schälen, ausruhen. Aber ihre
alleroberste Aufgabe galt ihrer Sicherheit, musste sie schon wieder denken, gab
es doch zu viele hungrige Mäuler, die auf ein geduldiges Opfer warteten. Dies
wollte ihr nicht mehr aus dem Sinn gehen, und sie spürte eine tiefe Angst in
sich aufsteigen. Opfer wollte sie nicht sein, sollten die Räuber doch anderswo
ihren Hunger stillen, sie wollte ein schöner stolzer Schmetterling werden. Wenn
sie richtig unterrichtet war, wurde sie ein Admiral, und das machte sie sehr
stolz, denn sie ahnte, dass sie besonders schöne Flügel bekommen würde und eine
ansehnliche Größe.
Das war
wohl der Sinn, den ihr Leben auf diesem Planeten bekommen sollte, und sie
freute sich, auf dem Weg zu sein, würde es auch einige Anstrengungen kosten,
denn noch vier mal würde sie ihre Haut abstreifen müssen, bis sie sich endlich
in …
Plötzlich wurde sie von einem Wassertropfen
getroffen, mitten auf die Brust. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie
nicht bemerkt hatte, wie es angefangen hatte zu regnen. Und nun blitzte und
donnerte es als ob die Erde auseinander brechen wollte. Die kleine Raupe kroch
noch tiefer unter ihr Dach aus Blättern und schlürfte den Wassertropfen
genüsslich, der kam ihr gerade recht.
‚Wind, Wind, o himmlisches Kind’, ging ihr nicht
mehr aus dem Sinn und so wiegte sie sich in den Schlaf. Sie hatte sich eingerollt
und war in ihrem Versteck kaum noch zu entdecken. Ab und zu zuckte einer ihrer
Stacheln auf dem Rücken, vielleicht hatte sie einen Traum, der sie leicht
erbeben ließ.
Der Himmel beruhigte sich allmählich und das
beständige Prasseln der Wassertropfen auf ihr Blätterdach erschien wie Musik
und erfüllte den ganzen Raum.
Als die
kleine Gefräßige wach wurde, machte sie sich wieder über die Brennnessel her
und aß und aß, und wenn sie nicht aß, schlief sie und wuchs so zu einer
ansehnlichen Größe heran. Drei mal hatte sie schon die Haut abgestreift, wenn
diese zu eng geworden war.
Jetzt
war es wieder einmal so weit, am Kopf war die Haut schon geplatzt, und sie
schob die enge Fessel immer mehr nach hinten. Dabei stöhnte sie so
herzergreifend, dass ein Mann aus dem Haus trat und nach dem Auslöser des
Geräusches suchte. Endlich schob er die Blätter der Brennnessel vorsichtig
auseinander, um sich nicht zu verbrennen. Er hatte das Stöhnen ganz richtig
zugeordnet. Er nahm die gelbe Raupe vorsichtig in seine Hand und beobachtete
das Tierchen. Die zu eng gewordene Haut hing noch am Hinterleib. Fast wollte er
sie streicheln, aber die Stacheln am Rücken hinderten ihn daran. Er lachte und
meinte: „Du hast es wirklich nicht leicht, meine kleine Raupe, bis du ein
schöner Schmetterling geworden bist, mach nur weiter so und werde ein großer
stolzer Admiral, das bist du doch. Ich kenne dich noch vom letzten Jahr, das
waren wohl deine Eltern. Du verschönerst meinen Garten, dafür bin ich dir sehr
dankbar.“
Jetzt
setzte der Mann die kleine Raupe wieder auf ihr Brennnesselblatt, die
abgestreifte Haut behielt er und meinte, die würde er als Glücksboten aufheben.
Die kleine Gelbe hatte die Luft angehalten, vor
lauter Angst, glaubte sie doch einen ihrer Feinde vor sich zu haben. Als sie
die sanfte Stimme hörte, war sie beruhigt und hörte aufmerksam zu. Hier drohte
ihr keine Gefahr, das spürte sie sofort. Er meinte es gut mit ihr, also konnte
sie beruhigt ihr Domizil in diesem Garten genießen., und darum ging es doch im
Leben. Sie schickte einen lieben Gruß an Gott, der ihr dieses Dasein geschenkt
hatte.
Die
kleine Raupe machte sich sofort wieder ans Fressen. Hunger, Hunger, der quälte
sie von Morgens bis Abends, nur das Schlafen konnte sie beruhigen.
Aber plötzlich spürte sie eine Gefahr, sie fühlte
sich beobachtet. Sie blickte sich um und entdeckte eine Eidechse, die sie in
Augenschein nahm. Die großen Augen fielen wie stechende Nadeln auf ihren
kräftigen Körper. Ja, sie hatte schon eine ansehnliche Größe erreicht, bald
würde sie einen Kokon spinnen und ihre große Verwandlung konnte stattfinden. Ob
sie das nun noch erleben durfte, stand in den Sternen geschrieben, ein
gefundenes Fressen für einen Räuber sollte sie werden. Von einem freien und
schönen Schmetterlingsleben konnte sie vielleicht nur noch Sekunden träumen.
Verstecken war zu spät. Die Eidechse hatte die Fährte längst aufgenommen,
worauf wartete sie noch?
Die
kräftige Gelbe schob ihre Stacheln weit nach oben, sie wollte aussehen wie ein
Igel, der nicht genüsslich zu verzehren war. Aua, aua, dachte die Gelbe mit
ihren Stacheln wurden immer länger.
„Lass mich in Ruh’, such dir eine andere Mahlzeit,
wenn du hungrig bist. Ich bin kein schmackhaftes Tellergericht, ich bin eine
stachlige und widerspenstige Adminaralsraupe. Ich möchte zu gern ein
Schmetterling werden, lass uns Freunde werden, wenn du willst. Wir beide sind
ein Augenschmaus in der Natur, bitte schenk mir diese Chance, ich werde es dir
danken, mit tausend guten Wünschen. Auch du sollst nicht gefressen werden, von
einem Vogel, einem Turmfalken vielleicht. Ich höre ihn schreien, er fliegt hoch
über uns und sucht ein Opfer.
„Ja, Vögel sind gefährlich, die Welt ist voller Feinde,
das ist hässlich, ist es nicht“, antwortete die Eidechse.
Hatte
die Raupe das Herz der Eidechse getroffen? Wohl schon, aber die grüne
Geschmeidige war auch gerade satt und suchte sich nur ein Plätzchen zum
Ausruhen.
„Du hast Glück, kleine Dicke, in der Tat wärst du
eine schöne Mahlzeit gewesen, aber es geht nichts mehr rein, und ja es ist OK.,
du sollst meine Freundin werden, und Freunde frisst man nicht auf. Ich freue
mich darauf, dich als Schmetterling wieder zu sehen. Also
machen wir Nägel mit Köpfen, schließen wir Freundschaft.“
„Das ist schön“, antwortete die kleine Raupe, „ich
bin dir dankbar, Freunde sind ein halbes Leben wert, das merkt man erst, wenn
man in Not ist.“
„Ja, und noch etwas, wie dürfen keine Angst haben,
auch nicht vor den wirklichen und den unwirklichen Feinden“, meinte die
Eidechse jetzt, „du verdirbst dir nur die Freude am Dasein und änderst nichts,
ich lebe in den Tag hinein und lasse es mir gut gehen.“
Die Gelbe schien nachzudenken, und dann antwortete
sie: „Du hast recht, darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber es ist so
wie du sagst, mit Angst ist man schwach, also schließen wir Frieden, und zuerst
mit uns selbst, sonst werden wir noch unsere eigenen Feinde.“
Die kleine Raupe lachte sichtlich erleichtert als
hätte sie ein schweres Kreuz von sich geworfen. Dann machte sie sich hungrig
über das nächste saftige Brennnesselblatt her. Die Eidechse hatte sich längst
auf ihrem warmen sonnigen Stein ausgestreckt und die Augen geschlossen.
Vielleicht träumte sie einen kleinen gelben Raupentraum.
Und wenn
sie nicht …
Fridolin
Die
Vögel zwitscherten als wollten sie den Morgen herbei rufen. Leise bewegte der
Wind die Blätter des Goldregens. Die Blüten hingen wie reife Trauben an den
Zweigen und strahlten weit übers Tal. Ein schwarzer Vogel mit blauen
Brustfedern setzte sich auf die Krone des Baumes und sang ein Lied, es hörte
sich an wie das Gekrächze eines alten Motors.
Kann er das nicht schöner oder geht es ihm nicht
gut, musste das Pfauenauge denken. Der Falter saß auf einer gelben Blüte und
trank Nektar. Er hielt die Flügel bewegungslos, um nicht auf sich aufmerksam zu
machen.
Die
Sonne war gerade hinter den Bergen aufgestiegen und schickte ihre ersten
Strahlen übers Tal.
„Pass gut auf dich auf“, hörte er plötzlich eine
Stimme von irgendwo, „damit dir kein Leid geschieht.“
„Uns
Schmetterlingen passiert so schnell nichts, wir sind viel zu geschickt, wer
soll uns schon überlegen sein? Und meine vier Augen auf den Flügeln erschrecken
meine Feinde so sehr, dass ich diese Zeit für meine Flucht nutzen kann.“
„Du bist sehr von dir überzeugt, das ist gut so,
aber dennoch, sei auf der Hut, man kann ja nie wissen …“
Das Pfauenauge schaute sich immer noch neugierig
um, aber es konnte niemanden entdecken, der mit ihm sprach. Es wurde unruhig,
so mancher Feind konnte aus dem Hinterhalt freundliche Worte sprechen und pfeilschnell
seine Sorglosigkeit ausnutzen. War das jetzt so, wo war diese nette Stimme?
„Wer bist du und wo hältst du dich versteckt? Gib
dich zu erkennen.“, meinte das Pfauenauge nun doch recht ungeduldig.
„Ja,
vielleicht halte ich mich versteckt, aber ich habe keine andere Wahl. Schau
nach rechts, dort hänge ich an einem seidenen Faden. Ich bilde gerade meine
künftige imago aus, du verstehst, ich stecke in einem Kokon und baue meine
Flügel, ein schönes Vergnügen, aber auch ein kleines Abenteuer. Ich werde ein
Admiralsweibchen“, hörte das Pfauenauge ganz stolz, „und sehe dir dann sehr
ähnlich. Also bis bald, es kann nicht mehr lange dauern, dann kannst du
Deinesgleichen begrüßen. Ciao, Ciao, amigo“
Jetzt war das Pfauenauge beruhigt und erkannte die
Flügelgestalt, die sich verpuppt hatte und bald schlüpfen würde.
Plötzlich
trat ein Mann vor die Tür des blauen Hauses und atmete frische Luft. Er schaute
zufrieden über seinen blühenden Garten und lächelte. Die Sonne zeigte die
Blumengesichter in ihren schönsten Farben, sie streckten sich dem Licht und der
Wärme entgegen. Besonders die Purpurrose hatte es ihm angetan, er betrachtete
sie jeden Tag mit zärtlichen Augen, als sähe er eine Geliebte an.
„Fridolin“, rief nun eine Stimme aus dem Inneren des
Hauses, „Frühstück ist fertig, bring bitte noch ein
bisschen Schnittlauch mit.“
Ja, seine Spiegeleier aß er gern mit Schnittlauch
und seine Frau vergaß das nie. Also holte er sein Taschenmesser aus der
Hosentasche und schnitt ein Paar Halme ab.
Die Haustür fiel leise hinter ihm ins Schloss.
Durch den Garten schwebte plötzlich ein Summen und Brummen, als wäre ein
Bienenhaus ausgeschwirrt um Nektar und Blütenstaub zu sammeln. Das kleine Haus
am Dorfrand nannten alle ganz zu recht ‚Rosengarten’. Die Besitzer hatten ein gutes
Herz für Blumen und Kräuter. Fridolin und seine Frau Helene hegten und pflegten
ihr Haus mit großer Liebe.
Das
Pfauenauge hatte ganz still auf seiner Goldregenblüte gesessen und den Mann
namens Fridolin beobachtet. Es war hier wohl an einem Ort gelandet, wo Tiere
und Pflanzen willkommen waren. Vielleicht gab es hier sogar nur wenige oder
keine Feinde, das hoffte der Falter, aber selbst ein vertrauensvolles
Pfauenauge wollte das nicht wirklich glauben.
Die krächzende Elster auf dem Gipfel des Goldregens
sang davon auch ein anderes Lied. Also, Vögel gab es in diesem Garten, sogar
ziemlich viele, und sie gehörten leider zu den aufdringlichsten Feinden seiner
Spezies. So war auch in diesem Paradiesgarten nicht nur Friede, Freude,
Eierkuchen, musste das Pfauenauge
denken.
„Pass
auf, pass auf, du kleine Träumerin, siehst du denn nicht, wer sich dir so
angriffslustig nähert?“ Erschreckt und besorgt schaute das Pfauenauge um sich
und entdeckte die Elster, die in ihrer Nähe Platz genommen hatte.
O, musste der hübsche Falter erschreckt denken,
nun ist Vorsicht und Klugheit geboten. Was sollte er tun? Er wollte immer in
Ruhe reagieren und blähte zuerst einmal seine Flügel auf, damit die vier Augen
darauf besonders leuchteten und den
Vogel kräftig verwirrten. Und tatsächlich blieb der erstarrt sitzen.
Sollte er davon fliegen oder sich verstecken, nur
wo? Er entschied sich für davon fliegen. Das Pfauenauge erhob sich und ließ
sich dann im Sturzflug auf eine purpurrote Rose nieder, hier wollte es sich
verkriechen.
Die vier unechten Augen auf den Flügeln des
Pfauenauges hatten wieder einmal ihre Aufgabe erfüllt, die Elster hatte nicht
beobachtet wohin der Falter geflogen war.
Die Rose duftete so stark, dass sich alle anderen Spuren verloren. Die
Gefahr war gebannt und der Falter atmete tief durch.
Doch das
sollte nicht lange anhalten, schon drohte eine neue Gefahr. Eine Amsel hatte
seine Fährte aufgenommen, hatte die doch hungrige Mäuler in ihrem Nest zu
versorgen. Da kam so ein prächtiger Festtagsschmaus besonders recht. Die Amsel
näherte sich mit kleinen hüpfenden Sprüngen der Rose, in der sich das
Pfauenauge gerade über den Nektar hermachte und alle Gefahr wieder vergessen
hatte, sie suchte nur noch ihren Hunger zu stillen.
Die
tödliche Gefahr rückte immer näher, der schwarze Vogel musste nur noch einen
Schwung nach oben tun, und er würde den hübschen Falter verschlingen.
Da ging die Haustür auf und Fridolin trat in den
Garten. Er hatte eine Schere in der Hand und steuerte auf die Purpurrose zu. Da
sah er das Pfauenauge darin sitzen und die Amsel gefährlich nahe. Die
verscheuchte er mit einem Lachen und meinte: „Na, du kleines Flügeltierchen, du
schöne Kleine, wollte dir mal wieder jemand zu Leibe rücken? Die Welt ist
grausam. Aber es heißt nun mal ‚fressen und gefressen werden’. Wenn wir
anfangen so zu denken, dann geht die Welt unter. Nur die Liebe kann uns noch
retten.“
Fridolin
suchte eine schöne Knospe aus, die am Aufblühen war. „Für meine liebe Frau
Helene“, sagte er, „zum 80. Geburtstag, mögen noch einige gesegnete Jahre hinzu
kommen.“
Er schnitt die Rose mit so viel Zärtlichkeit ab,
dabei fiel eine Träne auf ein Blatt.
Der Schmetterling hatte den Worten gelauscht und
gar nicht gemerkt, wie sich ein anderer Falter neben ihn gesetzt hatte. Es war
der Distelfalter, der sich aus seiner Hülle geschält hatte und nun seinen
ersten Ausflug in die Nektarwelt machte.
Hallo, du Träumerin. Ja, wir brauchen nicht selten
einen Schutzengel, und manchmal ist es sogar ein Mensch.“ Das Pfauenauge blickte ihn erstaunt an.
Und wenn
sie nicht …