Titel:
Warum Männer weinen
Form:
Roman
Zeitraum der
Handlung: ca. 8 bis
9 Wochen
Handlungsorte:
New York, Budapest, Paris, London,
Hamburg,
Bodman am Bodensee,
Mequinanza bei Barcelona,
Tokio, Sydney
Prämisse:
Hochmut
kommt vor dem Fall
Story:
Dr. Antonio Amadeus Berger jettet durch die halbe Welt,
er ist Ingenieur und zur Zeit als Berater für den Automobilkonzern LIMOUSINE
tätig. Die Arbeit nimmt in seinem Leben Platz 1 ein. Er prüft die
Wirtschaftlichkeit und entwirft Werbevorschläge für die Niederlassungen des
Konzerns, indem er in die jeweilige Identität des Landes eintaucht, dabei
vergisst er die Empfindlichkeiten der menschlichen Seele und tritt immer
häufiger in Fettnäpfchen.
Privat genießt er es bewundert und begehrt zu
werden, Frauen verwöhnen ihn und lesen ihm alle Wünsche von den Augen ab, so
kann er seinen Testosteronspiegel mit seinem Aggressionspotential in Einklang
bringen. Mit jedem neuen Auftrag nimmt er Kontakt zu alten Freundinnen auf,
zunehmend wird er enttäuscht, und mehr und mehr werden Wunden von ihm
aufgerissen. Marika aus Budapest scheint er zu lieben, aber zwischen den beiden
steht ein Hindernis.
Antonio hat zwei gescheiterte Ehen hinter sich, die
erste Ehe liegt lange zurück, er war 21 Jahre alt, seine um 10 Jahre ältere
Freundin erwartet von ihm ein Kind, am ersten Geburtstag kommen Zweifel auf ob
er der Vater ist. Die zweite Ehe endete vor kurzem in der Hochzeitsnacht.
Kinder sind für Antonio ein rotes Tuch, das hat
etwas mit seiner eigenen Kindheit zu tun, als er vier Jahre alt war wurde er
von seiner Mutter verlassen.
Mach dir keinen Kopf, Antonio, das ist sein
Lieblingsspruch. Vorgestellt hat er sich alles sehr einfach, einmal in die
Wiege gelegt, aus den Kinderschuhen heraus gewachsen und dann die Leiter
senkrecht nach oben gestartet, doch Antonio macht leidvolle Erfahrungen, bis er
wieder Boden unter den Füßen spürt.
Humor glaubt er zu haben, damit
will er seinem Leben den Sinn geben, der ihm zu fehlen scheint, die wahre Liebe
zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen und vielleicht auch zu einer Frau.
Personen:
Dr. Antonio Berger, lebt in Bodmann am Bodensee, 36 Jahre,
Wirtschaftsingenieur, will das gewöhnliche Leben auf ungewöhnliche Weise
leben
Juliette, 29 Jahre, Stewardess, verwöhnt Antonio auf allen Flügen
Teresa Goldstone, lebt in New York, 45 Jahre, Modedesignerin,
Puertorikanerin und Voodoopriesterin
Marika Felsö, lebt in Budapest, 32 Jahre,
Ingenieurin im Dienst der UNESCO
Severin Benoit, lebt in Paris, 38 Jahre alt, Psychologin, wohnt mit drei Frauen
zusammen
Margret Burning, lebt in London, 35 Jahre alt, Lehrerin, wohnt bei
ihrem alten Vater
Tabitha Wassermann, lebt in Hamburg, 33 Jahre, Fotomodell, Antonios 2.
Frau
Daniela Wentworth, lebt bei Sydney auf einer Farm, 45 Jahre, Antonios
1. Frau, verheiratet, 3 Kinder
Elena Flores-Villasante, Mutter Antonios, 48
Jahre, lebt bei Barcelona auf einer Hazienda, verh., 3 Kinder
2003WarumMaennerWeinen.htm
und hier ein Auszug, das 1. Kapitel
Warum Männer weinen
Katharina
Pauly
1
Antonio streicht über sein
glattes Kinn und ein Grinsen breitet sich in seinem Gesicht aus, der gestrige
Tag hat es ihm bewiesen, er hatte sich mit seiner einstmals Auserwählten und Angetrauten
geeinigt, sie verzichtete auf alle Ansprüche, woher sollten diese auch kommen,
und die Ehe wurde aufgehoben, Knall auf Fall, so schnell wie sein Jawort
ausgesprochen war, so schnell wurde es gelöst, er war wieder frei.
Antonio entspannt sich und
hört die Ansage der Stewardess vorbei rauschen, nur wenige Meter von ihm
entfernt steht eins dieser adretten Mädels und erklärt mit vielsagenden Gesten
wie man die Rettungswesten anlegen musste, sozusagen im Falle des Falles ...
na, dieser Fall tritt heute bestimmt nicht ein, denkt er belustigt, heute ist
sein Tag, vielleicht ein anderes Mal, aber heute nicht, außerdem hat er das
alles zum hundertsten Mal gehört.
Seine
Gedanken wandern zurück zu Tabitha, er hat sie geliebt, hübsch war sie, nett
und humorvoll und ... fair, ja, fair war sie auch, und dafür war er ihr
dankbar, sie hatte ihm alle Peinlichkeiten erspart, kein Wort von dieser
Geschichte in der Hochzeitsnacht zu sagen, darum hatte er sie gebeten, und sie
hatte ihm diesen Wunsch erfüllt, warum sollte sie ihn auch vorführen wollen, so
konnten sie sogar Freunde bleiben, er löste seine Probleme gern bis auf den
Grund, ungelöste Schwierigkeiten störten seine Konzentration auf das
Wesentliche, und das Wesentliche war seine Arbeit.
Sein
Blick streift durch den Flieger und bleibt an dem Busen der gestikulierenden
Stewardess hängen, das Zweitwesentliche in seinem Leben war Sex, daraus
schöpfte er die Kraft für seine Arbeit, das sagte ihm sein Chemiehaushalt, die
Libido musste befriedigt werden, sonst ging gar nichts, das war auch in dieser
besagten Hochzeitsnacht deutlich zu spüren gewesen, alle Probleme setzen sich
in körperliche Beschwerden um, seine frisch angetraute Ehefrau bekam das ja
unglücklicherweise auch zu sehen, nachdem sie so verführerisch ihr
Hochzeitskleid abgelegt hatte und ihn mit einem formvollendeten Striptease in
Hochform gebracht hatte, machte sie nur einen kleinen Fehler ... aber er war
ihr inzwischen dankbar dafür, sie hauchte ihm ins Ohr, sie wünsche sich ein
Kind von ihm, wie von einer Tarantel gestochen war er in die Höhe geschossen
und seine Erregung fiel wie ein Häufchen Elend in sich zusammen, dann weigerte
er sich trotz aller Beteuerungen, das könne man später doch alles klären und es
würde sich schon wieder einrenken lassen ...
Einrenken oder aufrichten, für ihn gab es nichts zu
überdenken, ein Kind wollte er nicht in die Welt setzen, Punkt und Basta,
niemals, er liebte seine Freiheit und die Vorstellung an ein Kind bereitete ihm
körperliche Schmerzen, nie wieder sollte seine Potenz solchen Anforderungen
ausgesetzt werden, alles was du erwartest, Antonio, ob du es willst oder nicht, es wird
geschehen, das hatte er schon oft erlebt, dieser Gedanke schwebte wie eine
Drohung über seinem geistigen Auge.
Zum Schluss
lagen sie geschwisterlich im Bett und Tabitha streichelte seine Hand, aber er
blieb hart, sein Entschluss stand fest, diese Ehe musste gelöst werden ehe ein
Unglück geschah, mit Eheversprechen wollte er in Zukunft vorsichtiger sein, man
musste doch nicht immer gleich heiraten. Ein Schauer lief über seinen Rücken,
und er schaut nach der Frischluftzufuhr über seinem Kopf, irritiert blickt er
zu dem älteren Herrn an seiner Seite, der eine Zeitung in voller Breite in den
Händen hält und ihm immer näher rückt, ein flüchtig transpirierender Duft
erreicht seine empfindlichen Geruchsnerven, das konnte er nicht leiden, aber
leider war er in die Chefetage noch nicht vorgedrungen, sonst hätte er erster
Klasse fliegen können, doch schon als Student nannten ihn Kommilitonen einen Überflieger,
und so sagte er recht selbstzufrieden zu sich, was noch nicht ist kann ja bald
werden, Antonio, alles deutet sich an, dass du zum Senkrechtstarter geboren
bist, du musst dich für alles offen halten was das Leben zu bieten hat, die
Frauen liegen dir zu Füßen, und das ist nahezu kostenlos, bis auf die Rosen,
die er verschenkte. Was wollte er mehr, er konnte sich glücklich nennen, er
verdiente gut und konnte es sich sogar leisten dem Motto Geiz ist IN zu frönen,
damit er sich seine kleine Yacht an der Côte d’Azur kaufen konnte, bleib kühl
und gefasst, mein Freund, dann geht es sich leichter durchs Leben, wer von sich
selbst nicht überzeugt ist, wie soll der einen anderen für sich gewinnen.
Der Schock
mit Tabitha hatte in seinem Innern eine Wunde aufgerissen, er fühlte sich
betrogen, die würdelose Szene im Bett wollte er aus seinem Gedächtnis
streichen, doch er spürte schon wieder die Kraftlosigkeit, die sich in seinem
Körper ausbreitete, das Gefühl nicht mehr Herr seiner Sinne zu sein erschreckte
ihn, wenn seine körperliche Leistungsfähigkeit zu leiden begann war Eile
geboten, er musste die Leidenschaft in ihre Schranken weisen, sie zersetzte
sein Denken, mit diesem teuflischen Elixier stand er auf Kriegsfuß, sie hatte
ihm so manche Niederlage verschafft.
Antonio war
wütend, er wollte sich nichts einbilden, was irgend wann einmal von ihm Besitz
ergreifen konnte, solche Angstattacken kannte er, du darfst die Kontrolle über
dich nicht verlieren, Antonio, du könntest im Strudel deines Leidens, sorry,
grinste er, ... Lebens untergehen, es wäre jammerschade um dich.
Antonio
hatte schon lange nicht mehr so ausgiebig über sein Vorleben nachgedacht, aber
der Anlass war verständlich, dieser zweite gescheiterte Versuch eine
bürgerliche Ehe zu führen, gab ihm die Chance, seine alten Liebesabenteuer
wieder aufzunehmen, in vielen Metropolen der Welt besaß er Freundinnen, er
wollte sich während seiner neuen Aufträge in der nächsten Zeit bei einigen in
Erinnerung rufen. Das Leben schenkt dir alles was du verdienst, überlegt er
siegesbewusst, brauchst du Abwechslung und Sex, lieber Antonio, dann nimm dir
das Eine wie das Andere, das ist jetzt alles wieder möglich ohne ein schlechtes
Gewissen zu bekommen. Mit der Treue hast du keinen Universalvertrag
geschlossen, die Frau fürs Leben ist dir noch nicht begegnet, Antonio, damit
musst du leben, aber ein Kind von Traurigkeit willst du nicht werden. Flüchtig
schiebt sich ein Frauengesicht vor seine Augen, die kleine Ungarin aus Paris
hatte einen nachhaltigen Eindruck in ihm hinterlassen, aber das lag nun auch
schon eine Weile zurück, doch in zwei Wochen würde er sie wiedersehen. Antonio
schiebt den Gedanken beiseite, jetzt wollte er zuerst einmal lustvolle Stunden
mit Teresa verbringen, sie vergötterte ihn und dieses Gefühl brauchte er zur
Zeit dringend um seinem gestressten Ego eine kleine Freude zu gönnen.
Dr. Antonio Berger blickt in das
Bullauge, in dem sich sein Antlitz spiegelt, seine Augen funkeln ihm entgegen,
er streicht durch seine schwarzen Haare, die von Silberfäden durchzogen sind,
obwohl er doch gerade erst 36 Jahre alt ist, viel zu früh, musste er denken,
aber das war wohl der Tribut an seine hoffnungslosen Affären, seinen braunen
Teint und die dunklen, fast schwarzen Augen hat er von seiner spanischen Mutter
geerbt, ja, er konnte sich sehen lassen.
Antonio kannte seine Eitelkeit,
sie war ein Stück seiner Erscheinung, er lächelt in das Glas an seiner Seite,
und seine schneeweißen wohlgeformten Zähne blitzen auf, dann zupft er den
Kragen seines weißen Hemdes zurecht, er hat heute keine Krawatte umgebunden,
diese Bequemlichkeit leistete er sich, locker wollte er auftreten, das drückte
mehr Selbstbewusstsein aus. Antonio blickt erneut auf die Düsen über seinem
Kopf und dreht den Knopf auf maximal, er hat das Gefühl nicht richtig
durchatmen zu können, die Zeitung neben ihm beginnt zu flattern und der
beleibte Mann wirft ihm einen unwilligen Blick zu, Antonio erhebt sich und
lächelt ihm zu: „Pardon, lassen Sie mich bitte vorbei?“ Der Mann faltet seine
Zeitung umständlich zusammen und brummelt undeutliche Worte vor sich hin.
„Bitte schön, wenn es sein muss.“
Die ältere Dame daneben ist schon aufgestanden und verbreitet eine Duftwolke,
ungeduldig trommelt sie mit ihrer beringten Hand auf den Sitz des Vordermannes,
der dreht sich um und blickt sie fragend an,
„sorry“, erklärt sie, es sei nichts, sie müsse nur warten. Ihr Gatte
erhob sich ächzend nachdem er endlich den Gurt geöffnet hat, jetzt schließt er
den mittleren Knopf seines Nadelstreifenjackets und schiebt seine Frau zur
Seite.
Endlich steht auch Antonio im
Gang und das Pärchen setzt sich wieder recht umständlich. Antonio unterdrückt
einen Kommentar und öffnet das Handgepäckfach, er holt seine Aktentasche heraus
und legt seine blaue Lederjacke in eine andere Ecke, da ein Flanellmantel
darauf liegt.
„Passen Sie auf, dass Sie nichts
durcheinander bringen, junger Mann“, meint die alte Dame mit spitzer Stimme und
zieht Stirn und Nase in tausend Falten.
„Das ist ganz in meinem
Interesse“, antwortet Antonio mit seiner ruhigsten Stimme und drückt die Klappe
schwungvoll zu, er nickt den alten Herrschaften höflich zu und verabschiedet
sich mit den Worten, er würde sich für die nächsten Stunden auf einen hinteren
Platz setzen, um nicht zu stören. Antonio schlendert mit seiner Ledertasche
über der Schulter durch den Gang in Richtung Heck, den Laptop durfte man in der
Luft bedienen, und er wollte noch einige Daten für die kommende Inspektion
nachlesen, dazu brauchte er Ruhe, und die konnte er in der hintersten Reihe
finden, die immer von Stewardessen belegt wurde.
Antonio blickt sich um, er konnte
Juliette nicht entdecken, sie kannte ihn ja und würde sicher bald zu ihm
kommen, er bückt sich und öffnet seine Schnürsenkel, hier konnte er sogar seine
Schuhe ausziehen um es sich gemütlich zu machen, so würde er frisch und
ausgeruht am Ziel ankommen, das heute New York hieß, er hatte einen
Superauftrag für den Automobilkonzern LIMOUSINE, der ihn in den kommenden
Wochen rund um die halbe Welt führen sollte.
Rationalisieren und Gewinne optimieren,
mit diesen beiden Zielen konnte man seine Tätigkeit in Worte fassen. Antonio
hatte zu seinem Ingenieurstudium noch einige Wirtschaftsvorlesungen besucht und
war dann unter einer ansehnlichen Reihe von Bewerbern ausgewählt worden, fünf
Jahre lang hatte er sich in diesem Unternehmen schon den besten Ruf erworben
und deshalb wurden ihm besonders heikle Aufgaben anvertraut, er spürte, dass er
diesen Anforderungen nur gewachsen war, wenn er Berufs- und Privatleben
voneinander trennte.
Leider mussten immer einige Köpfe
rollen, wenn er Vorschläge zur Optimierung und Standardisierung unterbreitete,
Unternehmen waren ja nicht dazu da Menschen zu beschäftigen, sondern um Gewinne
zu erzielen, das war sein Job. Manchmal fragte er sich, was der Unterschied zwischen
dem ist was geht und dem was nicht geht, nur eiserner Wille ist nötig um sein
Ziel zu erreichen, Antonio, das sollte deine Antwort sein, sagte er zu sich
selbst, dann wird alles leicht, und das war sein bevorzugtes Lebensgefühl, und
deshalb suchte er auch einen Ausgleich, das weibliche Geschlecht spielte dabei
eine herausragende Rolle, nur so konnte er seinen Testosteronspiegel mit seinem
Aggressionspotential in Einklang bringen.
Antonio
schaut aus dem Fenster, es war von Sonnenlicht überflutet, ein rotes Band zog
sich über den Horizont, sie flogen direkt in die aufgehende Sonne hinein, eine
tiefe Verbindung mit der Natur breitete sich in ihm aus, er spürte dieses
Element nirgendwo mehr als über den Wolken. Immer schon wollten Menschen
fliegen oder sie bauten Türme die in den Himmel reichten, aber niemand konnte
eine Brücke zwischen Himmel und Erde bauen, vielleicht waren wir wirklich nur
ein Staubkorn im Universum, und ein Spinnennetz schwebte zwischen diesen
Elementen und hielt alles zusammen, zog jemand an einem der hauchdünnen Fädchen
kam das ganze Haus in Bewegung.
In Antonio breiteten sich gern
solche Gedanken aus, vor allem wenn er die Größe des Alls spürte. Sein Vater
hätte ihn jetzt auf den Boden der Realität zurück geholt und ihm erklärt, mein
lieber Sohn, alles besteht aus Atomen und Protonen, alles ist Materie, Antonio
hört seine sarkastische Stimme, und die Liebe zählt auch dazu, sie ist blanke
Substanz, von diesem eigroßen Hypothalamus hergestellt, schallt es ihm
entgegen, darin besteht der Unterschied zwischen dem männlichen und dem
weiblichen Geschlecht, zehn bis zwanzig Mal mehr ist dieser Spiegel dafür
verantwortlich, dass der Mann überall und zu jeder Zeit Sex haben kann. Dieses
Liebesleben hatte ihm sein Vater vorgespielt, und er hatte die vielen
Gespielinnen gehasst, die Liebe ist ein Karussell sagte er noch als er schon
gebrechlich war, es dreht sich und dreht sich, und wenn es anhält musst du
abspringen.
Mit seinem Vater wollte er sich
dennoch nicht auf eine Stufe stellen, seine Erfahrungen waren anderer Art,
vielleicht war der Generationenblick dafür verantwortlich, überlegt er, Frauen
konnten nämlich genau so viel Sex haben, sie mussten es nur wollen. Aber in
einem Punkt hatte sein Vater Recht, es gab einen auffallenden Zusammenhang
zwischen Drüse, Hormon und Not, dabei half ihm sein geliebter Sport, sonst
hätte er die Zeit des sexuellen Niedrigwassers nicht lebend überstanden. Über Antonios Antlitz schien eine Spur Trauer
zu huschen, doch gleich darauf entspannte es sich wieder, das Leben besteht aus
Verdrängen und Ignorieren, das hatte er von seinem Vater auch gelernt, der
hatte zu diesem Zweck leider zu tief ins Glas geschaut und darin sein Leben
verloren, was soll‘s, das war lange vergessen und vorbei, er wollte sich erfreulichen
Dingen zuwenden, er brauchte doch nur zu schauen wo er gerade war, unter ihm
lag ein tiefes Blau über das einzelne Wolken hinzogen. In seinem Innern
breitete sich Ruhe aus, Reisen bedeutete für ihn, eine Verschnaufpause zwischen
den anstrengenden Termingeschäften einzulegen und jede Minute zu genießen, hier
konnte er die Kraft des Lichts in sich aufsaugen, und deshalb störten ihn
aufdringliche Platznachbarn. Reisen war für ihn ein wertvolles Gut und er
spürte ein Stück Freiheit, er belustigte sich gern über die Blauhemden auf
allen Flughäfen der Welt die vor Wichtigkeit schier platzten und die ihren
Stress öffentlich in den Augen trugen.
Antonios Blick wandert durch den
Flieger, er lauscht den Geräuschen, das leise Brummen der Turbinen wurde von ruckartigen
Schnarchgeräuschen eines Passagiers gestört, das war flegelhaft, und es fällt
ihm schwer dabei Ruhe zu bewahren, er musste an sich halten um den Störenfried
nicht sofort aufzuspüren.
Endlich eilt Juliette durch die
Reihen und setzt sich neben ihn. Als sie ihn auf die Wange küsst, flüstert sie
ihm ins Ohr: „Schön, dass du wieder mal auf meiner Tour bist, dann kann ich
dich ein bisschen verwöhnen“, dabei streicht sie über seinen Oberschenkel, „du
hast mir ja eine Nachricht geschickt, da hab ich mit einer Kollegin getauscht,
ich fliege in letzter Zeit fast nur noch nach Tokio.“
„Du bist ein Schatz, meine kleine
July.“ Antonio nimmt die Hand Juliettes und führt sie an seine Lippen.
„Du kennst doch meine Schwäche
für dich“, lacht sie, „es gibt eben nichts Schöneres als einen charmanten Mann
zu verwöhnen.“ Antonio wehrt verlegen ab und meint dann, sie habe einen Wunsch
frei auf seinem Konto, vielleicht hatte sie ja heute Abend Zeit und verabredete
sich mit ihm zu einem kleinen Bummel durch die Nachtszene von New York, der
heutige Tag sei doch sechs Stunden länger, und diese Zeit wollte er als
Geschenk des Himmels annehmen.
„Du bist also doch mein kleiner
Philosoph“, lacht die Stewardess, „das schätze ich an dir, du weißt das
gewöhnliche Leben auf ungewöhnliche Weise zu leben, langweilig wird es mit dir
nicht.“
„Du bist auch eine ungewöhnliche
Frau, liebe July“, jetzt springt die junge Frau auf und meint, das sei nun aber
genug Schmusekuchen, sie habe einiges zu tun, sonst würden die Passagiere noch
lange auf ihr Frühstück warten müssen, sie haucht einen Kuss auf seinen Mund
und sagt leise, „ein Sechsminutenei“, er nickt und sie antwortet, „na, hab‘ ich
mir das gut gemerkt?“
Antonio sieht der davoneilenden
jungen Frau zufrieden nach und rückt sich in seinem Sitz zurecht, dann drückt
er auf den Knopf unter der Armlehne und bringt die Rückenlehne in Ruhestellung,
er will bis zum Frühstück meditieren. Plötzlich richtet er sich noch einmal auf
und schiebt den Stecker des Kopfhörers in die Buchse, July hat ihm ein
besonders komfortables Stück in die Hand gedrückt, Musik entspannte ihn, so
konnte er seinem zweiten Namen alle Ehre machen, Antonio Amadeus, den hatte er
seiner Mutter zu verdanken, und er war stolz darauf, wenn er auch als Kind
gelitten hatte, weil er oft gehänselt wurde, auch heute erzeugte das noch
manchen Lacher, doch das machte ihn nur interessanter.
„Dein Frühstück, Antonio, was
willst du trinken, Kaffee oder Tee?“ July reicht ihm ein Tablett, und er klappt
schnell den kleinen Tisch herunter.
„Kaffee, bitte, und ein Glas
Tomatensaft.“ Wohlwollend schaut er sich die Zusammensetzung seines Frühstücks
an, obenauf liegen drei knusprige Brötchen, er nimmt eins davon in die Hand,
„frisch, wie gerade vom Bäcker aus dem Ofen geholt, du bist eine richtige Zaubermaus“,
lacht er und bedankt sich überschwenglich.
July lächelt ihm zu und schiebt
mit einem Ruck den Wagen an, auf der anderen Seite steht eine Kollegin von ihr,
die schon wartet, dass es weitergeht, Antonio blickt Juliette hinterher, sie
hat ihre langen Haare zu einem Zopf geflochten, und er stellt sich vor wie ihre
Haare offen um ihren Kopf herumliegen und er damit spielen konnte, er liebte
Frauen mit braunen Haaren, je dunkler desto besser, und sie hatte eine
fantastische Figur, die in dem eng geschnittenen Kostüm aufreizend auf ihn
wirkte. Endlich verschwindet sie aus seinem Blickfeld, und er kann sich dem
Essen widmen, er hat Hunger, er kann sich gar nicht erinnern, wie lange es her
ist, dass er etwas gegessen und getrunken hat, er schneidet ein Brötchen auf,
streicht Butter darauf und köpft das Ei, genau richtig, so liebte er es, aus
einer kleinen Tüte streut er Salz darauf und isst es mit Genuss. Dabei ruht
sein Blick auf der Rückenlehne des Vordermannes, der dreht sich um, lacht ihn
an und meint, er wolle sich doch einmal den Menschen anschauen, der sich eine
solch angenehme Sonderbetreuung zu eigen mache.
„Das habe ich wohl alles meinem
Charme und meiner Liebenswürdigkeit zu verdanken, versuchen Sie es doch auch
mal damit.“
„Ja, ja“, antwortet der
Glatzköpfige, „Charme ist der beglückendste Reiz einer Frau, aber auch ihr
unbestimmbarster, wir Männer können uns eine Scheibe davon abschneiden“, dabei
hebt er belehrend den Zeigefinger und fügt mit lauter Stimme hinzu, „aber
Schönheit steht dabei nicht an erster Stelle, Charme ist eine Begnadung und
nicht allzu oft unter die Frauen- und Männerwelt gestreut.“
Antonio widerspricht und meint,
er könne ihm auf Anhieb zwei Hände voll Frauen nennen, die er zu dieser
Kategorie zählen wollte, mit den Männern täte er sich da schwerer.
„Ja, ja“, wiederholt der Mann und
dreht sich dabei um, „mit der Herzensbildung das ist schon recht schwierig, und
leider wird damit viel Theater gespielt.“
Es dauerte keine drei Minuten und
July ist wieder an seiner Seite, sie hält eine Kaffeekanne in der Hand und
fragt, ob sie ihm nachschenken dürfe, das konnte sie, er hatte die Tasse in
wenigen Schlucken geleert. Sie klappt den Tisch des Platzes neben ihm herunter
und stellt die Kanne darauf und erklärt, wenn sie Zeit habe würde sie später
einmal zu ihm kommen, wenn es ihm recht sei, und ein bisschen plauschen, mit
diesen Worten war sie auch schon wieder entschwunden. Der Mann aus der
Vorderreihe dreht sich noch einmal um und zwinkert ihm zu: „Manche Musen fallen
einem wie reife Feigen in den Schoß.“
„Mein Herr, wollen Sie mich bitte
mit ihren Belehrungen über Charme und Herzensbildung in Ruhe lassen, ich habe
keine Lust und keine Zeit mich mit einem wildfremden Menschen über solche Dinge
zu unterhalten.“ Das sollte genügen, denkt Antonio verärgert und der Mann dreht
sich wortlos um und zuckt mit den Schultern.
Als July wiederkommt und sich zu
ihm setzt, erklärt ihr Antonio die peinliche Situation und meint, sie könne
sich in Teufels Küche bringen, wenn eine Beschwerde über sie ausgesprochen
würde, kein Arbeitsplatz sei heute mehr sicher, und sie sollten ihr tète-à-tète
lieber ins nächtliche New York verlegen. July stimmt erleichtert zu und
flüstert lächelnd, „aber eine Extraportion Eis bekommst du nach dem Dinner.“
Mit diesen Worten entschwindet sie und Antonio ist froh, weil er sich jetzt
seinem Projekt widmen kann und hoffentlich für längere Zeit ungestört
bleibt.