2003 Warum Männer Weinen
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Titel:                                         Warum Männer weinen

                  

Form:                                        Roman 

                                                                         

Zeitraum der Handlung:         ca. 8 bis 9 Wochen

 

Handlungsorte:                        New York, Budapest, Paris, London, Hamburg,

                                                   Bodman am Bodensee,  Mequinanza bei Barcelona,

                                                   Tokio, Sydney

      

Prämisse:                                   Hochmut kommt vor dem Fall

 

 

Story:

 

Dr. Antonio Amadeus Berger jettet durch die halbe Welt, er ist Ingenieur und zur Zeit als Berater für den Automobilkonzern LIMOUSINE tätig. Die Arbeit nimmt in seinem Leben Platz 1 ein. Er prüft die Wirtschaftlichkeit und entwirft Werbevorschläge für die Niederlassungen des Konzerns, indem er in die jeweilige Identität des Landes eintaucht, dabei vergisst er die Empfindlichkeiten der menschlichen Seele und tritt immer häufiger in Fettnäpfchen.

Privat genießt er es bewundert und begehrt zu werden, Frauen verwöhnen ihn und lesen ihm alle Wünsche von den Augen ab, so kann er seinen Testosteronspiegel mit seinem Aggressionspotential in Einklang bringen. Mit jedem neuen Auftrag nimmt er Kontakt zu alten Freundinnen auf, zunehmend wird er enttäuscht, und mehr und mehr werden Wunden von ihm aufgerissen. Marika aus Budapest scheint er zu lieben, aber zwischen den beiden steht ein Hindernis.

Antonio hat zwei gescheiterte Ehen hinter sich, die erste Ehe liegt lange zurück, er war 21 Jahre alt, seine um 10 Jahre ältere Freundin erwartet von ihm ein Kind, am ersten Geburtstag kommen Zweifel auf ob er der Vater ist. Die zweite Ehe endete vor kurzem in der Hochzeitsnacht.

Kinder sind für Antonio ein rotes Tuch, das hat etwas mit seiner eigenen Kindheit zu tun, als er vier Jahre alt war wurde er von seiner Mutter verlassen.

Mach dir keinen Kopf, Antonio, das ist sein Lieblingsspruch. Vorgestellt hat er sich alles sehr einfach, einmal in die Wiege gelegt, aus den Kinderschuhen heraus gewachsen und dann die Leiter senkrecht nach oben gestartet, doch Antonio macht leidvolle Erfahrungen, bis er wieder Boden unter den Füßen spürt.

Humor glaubt er zu haben, damit will er seinem Leben den Sinn geben, der ihm zu fehlen scheint, die wahre Liebe zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen und vielleicht auch zu einer Frau.

 

Personen:

Dr. Antonio Berger, lebt in Bodmann am Bodensee, 36 Jahre, Wirtschaftsingenieur, will das gewöhnliche Leben auf ungewöhnliche Weise leben  

Juliette, 29 Jahre, Stewardess, verwöhnt Antonio auf allen Flügen

Teresa Goldstone, lebt in New York, 45 Jahre, Modedesignerin, Puertorikanerin und Voodoopriesterin

Marika Felsö, lebt in Budapest, 32 Jahre,  Ingenieurin im Dienst der UNESCO

Severin Benoit, lebt in Paris, 38 Jahre alt, Psychologin, wohnt mit drei Frauen zusammen

Margret Burning, lebt in London, 35 Jahre alt, Lehrerin, wohnt bei ihrem alten Vater

Tabitha Wassermann, lebt in Hamburg, 33 Jahre, Fotomodell, Antonios 2. Frau

Daniela Wentworth, lebt bei Sydney auf einer Farm, 45 Jahre, Antonios 1. Frau, verheiratet, 3 Kinder

Elena Flores-Villasante, Mutter Antonios, 48 Jahre, lebt bei Barcelona auf einer Hazienda, verh., 3 Kinder

 

2003WarumMaennerWeinen.htm

                                                                      

und hier ein Auszug, das 1. Kapitel




  Warum Männer weinen

 Katharina Pauly

1

 

Antonio streicht über sein glattes Kinn und ein Grinsen breitet sich in seinem Gesicht aus, der gestrige Tag hat es ihm bewiesen, er hatte sich mit seiner einstmals Auserwählten und Angetrauten geeinigt, sie verzichtete auf alle Ansprüche, woher sollten diese auch kommen, und die Ehe wurde aufgehoben, Knall auf Fall, so schnell wie sein Jawort ausgesprochen war, so schnell wurde es gelöst, er war wieder frei. 

Antonio entspannt sich und hört die Ansage der Stewardess vorbei rauschen, nur wenige Meter von ihm entfernt steht eins dieser adretten Mädels und erklärt mit vielsagenden Gesten wie man die Rettungswesten anlegen musste, sozusagen im Falle des Falles ... na, dieser Fall tritt heute bestimmt nicht ein, denkt er belustigt, heute ist sein Tag, vielleicht ein anderes Mal, aber heute nicht, außerdem hat er das alles zum hundertsten Mal gehört.

Seine Gedanken wandern zurück zu Tabitha, er hat sie geliebt, hübsch war sie, nett und humorvoll und ... fair, ja, fair war sie auch, und dafür war er ihr dankbar, sie hatte ihm alle Peinlichkeiten erspart, kein Wort von dieser Geschichte in der Hochzeitsnacht zu sagen, darum hatte er sie gebeten, und sie hatte ihm diesen Wunsch erfüllt, warum sollte sie ihn auch vorführen wollen, so konnten sie sogar Freunde bleiben, er löste seine Probleme gern bis auf den Grund, ungelöste Schwierigkeiten störten seine Konzentration auf das Wesentliche, und das Wesentliche war seine Arbeit.

Sein Blick streift durch den Flieger und bleibt an dem Busen der gestikulierenden Stewardess hängen, das Zweitwesentliche in seinem Leben war Sex, daraus schöpfte er die Kraft für seine Arbeit, das sagte ihm sein Chemiehaushalt, die Libido musste befriedigt werden, sonst ging gar nichts, das war auch in dieser besagten Hochzeitsnacht deutlich zu spüren gewesen, alle Probleme setzen sich in körperliche Beschwerden um, seine frisch angetraute Ehefrau bekam das ja unglücklicherweise auch zu sehen, nachdem sie so verführerisch ihr Hochzeitskleid abgelegt hatte und ihn mit einem formvollendeten Striptease in Hochform gebracht hatte, machte sie nur einen kleinen Fehler ... aber er war ihr inzwischen dankbar dafür, sie hauchte ihm ins Ohr, sie wünsche sich ein Kind von ihm, wie von einer Tarantel gestochen war er in die Höhe geschossen und seine Erregung fiel wie ein Häufchen Elend in sich zusammen, dann weigerte er sich trotz aller Beteuerungen, das könne man später doch alles klären und es würde sich schon wieder einrenken lassen ...

Einrenken oder aufrichten, für ihn gab es nichts zu überdenken, ein Kind wollte er nicht in die Welt setzen, Punkt und Basta, niemals, er liebte seine Freiheit und die Vorstellung an ein Kind bereitete ihm körperliche Schmerzen, nie wieder sollte seine Potenz solchen Anforderungen ausgesetzt werden, alles was du erwartest, Antonio,  ob du es willst oder nicht, es wird geschehen, das hatte er schon oft erlebt, dieser Gedanke schwebte wie eine Drohung über seinem geistigen Auge.

Zum Schluss lagen sie geschwisterlich im Bett und Tabitha streichelte seine Hand, aber er blieb hart, sein Entschluss stand fest, diese Ehe musste gelöst werden ehe ein Unglück geschah, mit Eheversprechen wollte er in Zukunft vorsichtiger sein, man musste doch nicht immer gleich heiraten. Ein Schauer lief über seinen Rücken, und er schaut nach der Frischluftzufuhr über seinem Kopf, irritiert blickt er zu dem älteren Herrn an seiner Seite, der eine Zeitung in voller Breite in den Händen hält und ihm immer näher rückt, ein flüchtig transpirierender Duft erreicht seine empfindlichen Geruchsnerven, das konnte er nicht leiden, aber leider war er in die Chefetage noch nicht vorgedrungen, sonst hätte er erster Klasse fliegen können, doch schon als Student nannten ihn Kommilitonen einen Überflieger, und so sagte er recht selbstzufrieden zu sich, was noch nicht ist kann ja bald werden, Antonio, alles deutet sich an, dass du zum Senkrechtstarter geboren bist, du musst dich für alles offen halten was das Leben zu bieten hat, die Frauen liegen dir zu Füßen, und das ist nahezu kostenlos, bis auf die Rosen, die er verschenkte. Was wollte er mehr, er konnte sich glücklich nennen, er verdiente gut und konnte es sich sogar leisten dem Motto Geiz ist IN zu frönen, damit er sich seine kleine Yacht an der Côte d’Azur kaufen konnte, bleib kühl und gefasst, mein Freund, dann geht es sich leichter durchs Leben, wer von sich selbst nicht überzeugt ist, wie soll der einen anderen für sich gewinnen.

Der Schock mit Tabitha hatte in seinem Innern eine Wunde aufgerissen, er fühlte sich betrogen, die würdelose Szene im Bett wollte er aus seinem Gedächtnis streichen, doch er spürte schon wieder die Kraftlosigkeit, die sich in seinem Körper ausbreitete, das Gefühl nicht mehr Herr seiner Sinne zu sein erschreckte ihn, wenn seine körperliche Leistungsfähigkeit zu leiden begann war Eile geboten, er musste die Leidenschaft in ihre Schranken weisen, sie zersetzte sein Denken, mit diesem teuflischen Elixier stand er auf Kriegsfuß, sie hatte ihm so manche Niederlage verschafft.

Antonio war wütend, er wollte sich nichts einbilden, was irgend wann einmal von ihm Besitz ergreifen konnte, solche Angstattacken kannte er, du darfst die Kontrolle über dich nicht verlieren, Antonio, du könntest im Strudel deines Leidens, sorry, grinste er, ... Lebens untergehen, es wäre jammerschade um dich. 

 

Antonio hatte schon lange nicht mehr so ausgiebig über sein Vorleben nachgedacht, aber der Anlass war verständlich, dieser zweite gescheiterte Versuch eine bürgerliche Ehe zu führen, gab ihm die Chance, seine alten Liebesabenteuer wieder aufzunehmen, in vielen Metropolen der Welt besaß er Freundinnen, er wollte sich während seiner neuen Aufträge in der nächsten Zeit bei einigen in Erinnerung rufen. Das Leben schenkt dir alles was du verdienst, überlegt er siegesbewusst, brauchst du Abwechslung und Sex, lieber Antonio, dann nimm dir das Eine wie das Andere, das ist jetzt alles wieder möglich ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Mit der Treue hast du keinen Universalvertrag geschlossen, die Frau fürs Leben ist dir noch nicht begegnet, Antonio, damit musst du leben, aber ein Kind von Traurigkeit willst du nicht werden. Flüchtig schiebt sich ein Frauengesicht vor seine Augen, die kleine Ungarin aus Paris hatte einen nachhaltigen Eindruck in ihm hinterlassen, aber das lag nun auch schon eine Weile zurück, doch in zwei Wochen würde er sie wiedersehen. Antonio schiebt den Gedanken beiseite, jetzt wollte er zuerst einmal lustvolle Stunden mit Teresa verbringen, sie vergötterte ihn und dieses Gefühl brauchte er zur Zeit dringend um seinem gestressten Ego eine kleine Freude zu gönnen.

Dr. Antonio Berger blickt in das Bullauge, in dem sich sein Antlitz spiegelt, seine Augen funkeln ihm entgegen, er streicht durch seine schwarzen Haare, die von Silberfäden durchzogen sind, obwohl er doch gerade erst 36 Jahre alt ist, viel zu früh, musste er denken, aber das war wohl der Tribut an seine hoffnungslosen Affären, seinen braunen Teint und die dunklen, fast schwarzen Augen hat er von seiner spanischen Mutter geerbt, ja, er konnte sich sehen lassen.

Antonio kannte seine Eitelkeit, sie war ein Stück seiner Erscheinung, er lächelt in das Glas an seiner Seite, und seine schneeweißen wohlgeformten Zähne blitzen auf, dann zupft er den Kragen seines weißen Hemdes zurecht, er hat heute keine Krawatte umgebunden, diese Bequemlichkeit leistete er sich, locker wollte er auftreten, das drückte mehr Selbstbewusstsein aus. Antonio blickt erneut auf die Düsen über seinem Kopf und dreht den Knopf auf maximal, er hat das Gefühl nicht richtig durchatmen zu können, die Zeitung neben ihm beginnt zu flattern und der beleibte Mann wirft ihm einen unwilligen Blick zu, Antonio erhebt sich und lächelt ihm zu: „Pardon, lassen Sie mich bitte vorbei?“ Der Mann faltet seine Zeitung umständlich zusammen und brummelt undeutliche Worte vor sich hin.

„Bitte schön, wenn es sein muss.“ Die ältere Dame daneben ist schon aufgestanden und verbreitet eine Duftwolke, ungeduldig trommelt sie mit ihrer beringten Hand auf den Sitz des Vordermannes, der dreht sich um und blickt sie fragend an,  „sorry“, erklärt sie, es sei nichts, sie müsse nur warten. Ihr Gatte erhob sich ächzend nachdem er endlich den Gurt geöffnet hat, jetzt schließt er den mittleren Knopf seines Nadelstreifenjackets und schiebt seine Frau zur Seite. 

Endlich steht auch Antonio im Gang und das Pärchen setzt sich wieder recht umständlich. Antonio unterdrückt einen Kommentar und öffnet das Handgepäckfach, er holt seine Aktentasche heraus und legt seine blaue Lederjacke in eine andere Ecke, da ein Flanellmantel darauf liegt.

„Passen Sie auf, dass Sie nichts durcheinander bringen, junger Mann“, meint die alte Dame mit spitzer Stimme und zieht Stirn und Nase in tausend Falten.

„Das ist ganz in meinem Interesse“, antwortet Antonio mit seiner ruhigsten Stimme und drückt die Klappe schwungvoll zu, er nickt den alten Herrschaften höflich zu und verabschiedet sich mit den Worten, er würde sich für die nächsten Stunden auf einen hinteren Platz setzen, um nicht zu stören. Antonio schlendert mit seiner Ledertasche über der Schulter durch den Gang in Richtung Heck, den Laptop durfte man in der Luft bedienen, und er wollte noch einige Daten für die kommende Inspektion nachlesen, dazu brauchte er Ruhe, und die konnte er in der hintersten Reihe finden, die immer von Stewardessen belegt wurde.

Antonio blickt sich um, er konnte Juliette nicht entdecken, sie kannte ihn ja und würde sicher bald zu ihm kommen, er bückt sich und öffnet seine Schnürsenkel, hier konnte er sogar seine Schuhe ausziehen um es sich gemütlich zu machen, so würde er frisch und ausgeruht am Ziel ankommen, das heute New York hieß, er hatte einen Superauftrag für den Automobilkonzern LIMOUSINE, der ihn in den kommenden Wochen rund um die halbe Welt führen sollte.

Rationalisieren und Gewinne optimieren, mit diesen beiden Zielen konnte man seine Tätigkeit in Worte fassen. Antonio hatte zu seinem Ingenieurstudium noch einige Wirtschaftsvorlesungen besucht und war dann unter einer ansehnlichen Reihe von Bewerbern ausgewählt worden, fünf Jahre lang hatte er sich in diesem Unternehmen schon den besten Ruf erworben und deshalb wurden ihm besonders heikle Aufgaben anvertraut, er spürte, dass er diesen Anforderungen nur gewachsen war, wenn er Berufs- und Privatleben voneinander trennte.

Leider mussten immer einige Köpfe rollen, wenn er Vorschläge zur Optimierung und Standardisierung unterbreitete, Unternehmen waren ja nicht dazu da Menschen zu beschäftigen, sondern um Gewinne zu erzielen, das war sein Job. Manchmal fragte er sich, was der Unterschied zwischen dem ist was geht und dem was nicht geht, nur eiserner Wille ist nötig um sein Ziel zu erreichen, Antonio, das sollte deine Antwort sein, sagte er zu sich selbst, dann wird alles leicht, und das war sein bevorzugtes Lebensgefühl, und deshalb suchte er auch einen Ausgleich, das weibliche Geschlecht spielte dabei eine herausragende Rolle, nur so konnte er seinen Testosteronspiegel mit seinem Aggressionspotential in Einklang bringen.  

Antonio schaut aus dem Fenster, es war von Sonnenlicht überflutet, ein rotes Band zog sich über den Horizont, sie flogen direkt in die aufgehende Sonne hinein, eine tiefe Verbindung mit der Natur breitete sich in ihm aus, er spürte dieses Element nirgendwo mehr als über den Wolken. Immer schon wollten Menschen fliegen oder sie bauten Türme die in den Himmel reichten, aber niemand konnte eine Brücke zwischen Himmel und Erde bauen, vielleicht waren wir wirklich nur ein Staubkorn im Universum, und ein Spinnennetz schwebte zwischen diesen Elementen und hielt alles zusammen, zog jemand an einem der hauchdünnen Fädchen kam das ganze Haus in Bewegung.

In Antonio breiteten sich gern solche Gedanken aus, vor allem wenn er die Größe des Alls spürte. Sein Vater hätte ihn jetzt auf den Boden der Realität zurück geholt und ihm erklärt, mein lieber Sohn, alles besteht aus Atomen und Protonen, alles ist Materie, Antonio hört seine sarkastische Stimme, und die Liebe zählt auch dazu, sie ist blanke Substanz, von diesem eigroßen Hypothalamus hergestellt, schallt es ihm entgegen, darin besteht der Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht, zehn bis zwanzig Mal mehr ist dieser Spiegel dafür verantwortlich, dass der Mann überall und zu jeder Zeit Sex haben kann. Dieses Liebesleben hatte ihm sein Vater vorgespielt, und er hatte die vielen Gespielinnen gehasst, die Liebe ist ein Karussell sagte er noch als er schon gebrechlich war, es dreht sich und dreht sich, und wenn es anhält musst du abspringen. 

Mit seinem Vater wollte er sich dennoch nicht auf eine Stufe stellen, seine Erfahrungen waren anderer Art, vielleicht war der Generationenblick dafür verantwortlich, überlegt er, Frauen konnten nämlich genau so viel Sex haben, sie mussten es nur wollen. Aber in einem Punkt hatte sein Vater Recht, es gab einen auffallenden Zusammenhang zwischen Drüse, Hormon und Not, dabei half ihm sein geliebter Sport, sonst hätte er die Zeit des sexuellen Niedrigwassers nicht lebend überstanden.  Über Antonios Antlitz schien eine Spur Trauer zu huschen, doch gleich darauf entspannte es sich wieder, das Leben besteht aus Verdrängen und Ignorieren, das hatte er von seinem Vater auch gelernt, der hatte zu diesem Zweck leider zu tief ins Glas geschaut und darin sein Leben verloren, was soll‘s, das war lange vergessen und vorbei, er wollte sich erfreulichen Dingen zuwenden, er brauchte doch nur zu schauen wo er gerade war, unter ihm lag ein tiefes Blau über das einzelne Wolken hinzogen. In seinem Innern breitete sich Ruhe aus, Reisen bedeutete für ihn, eine Verschnaufpause zwischen den anstrengenden Termingeschäften einzulegen und jede Minute zu genießen, hier konnte er die Kraft des Lichts in sich aufsaugen, und deshalb störten ihn aufdringliche Platznachbarn. Reisen war für ihn ein wertvolles Gut und er spürte ein Stück Freiheit, er belustigte sich gern über die Blauhemden auf allen Flughäfen der Welt die vor Wichtigkeit schier platzten und die ihren Stress öffentlich in den Augen trugen.  

Antonios Blick wandert durch den Flieger, er lauscht den Geräuschen, das leise Brummen der Turbinen wurde von ruckartigen Schnarchgeräuschen eines Passagiers gestört, das war flegelhaft, und es fällt ihm schwer dabei Ruhe zu bewahren, er musste an sich halten um den Störenfried nicht sofort aufzuspüren.

Endlich eilt Juliette durch die Reihen und setzt sich neben ihn. Als sie ihn auf die Wange küsst, flüstert sie ihm ins Ohr: „Schön, dass du wieder mal auf meiner Tour bist, dann kann ich dich ein bisschen verwöhnen“, dabei streicht sie über seinen Oberschenkel, „du hast mir ja eine Nachricht geschickt, da hab ich mit einer Kollegin getauscht, ich fliege in letzter Zeit fast nur noch nach Tokio.“

„Du bist ein Schatz, meine kleine July.“ Antonio nimmt die Hand Juliettes und führt sie an seine Lippen.

„Du kennst doch meine Schwäche für dich“, lacht sie, „es gibt eben nichts Schöneres als einen charmanten Mann zu verwöhnen.“ Antonio wehrt verlegen ab und meint dann, sie habe einen Wunsch frei auf seinem Konto, vielleicht hatte sie ja heute Abend Zeit und verabredete sich mit ihm zu einem kleinen Bummel durch die Nachtszene von New York, der heutige Tag sei doch sechs Stunden länger, und diese Zeit wollte er als Geschenk des Himmels annehmen.

„Du bist also doch mein kleiner Philosoph“, lacht die Stewardess, „das schätze ich an dir, du weißt das gewöhnliche Leben auf ungewöhnliche Weise zu leben, langweilig wird es mit dir nicht.“

„Du bist auch eine ungewöhnliche Frau, liebe July“, jetzt springt die junge Frau auf und meint, das sei nun aber genug Schmusekuchen, sie habe einiges zu tun, sonst würden die Passagiere noch lange auf ihr Frühstück warten müssen, sie haucht einen Kuss auf seinen Mund und sagt leise, „ein Sechsminutenei“, er nickt und sie antwortet, „na, hab‘ ich mir das gut gemerkt?“ 

Antonio sieht der davoneilenden jungen Frau zufrieden nach und rückt sich in seinem Sitz zurecht, dann drückt er auf den Knopf unter der Armlehne und bringt die Rückenlehne in Ruhestellung, er will bis zum Frühstück meditieren. Plötzlich richtet er sich noch einmal auf und schiebt den Stecker des Kopfhörers in die Buchse, July hat ihm ein besonders komfortables Stück in die Hand gedrückt, Musik entspannte ihn, so konnte er seinem zweiten Namen alle Ehre machen, Antonio Amadeus, den hatte er seiner Mutter zu verdanken, und er war stolz darauf, wenn er auch als Kind gelitten hatte, weil er oft gehänselt wurde, auch heute erzeugte das noch manchen Lacher, doch das machte ihn nur interessanter.

„Dein Frühstück, Antonio, was willst du trinken, Kaffee oder Tee?“ July reicht ihm ein Tablett, und er klappt schnell den kleinen Tisch herunter.

„Kaffee, bitte, und ein Glas Tomatensaft.“ Wohlwollend schaut er sich die Zusammensetzung seines Frühstücks an, obenauf liegen drei knusprige Brötchen, er nimmt eins davon in die Hand, „frisch, wie gerade vom Bäcker aus dem Ofen geholt, du bist eine richtige Zaubermaus“, lacht er und bedankt sich überschwenglich.

July lächelt ihm zu und schiebt mit einem Ruck den Wagen an, auf der anderen Seite steht eine Kollegin von ihr, die schon wartet, dass es weitergeht, Antonio blickt Juliette hinterher, sie hat ihre langen Haare zu einem Zopf geflochten, und er stellt sich vor wie ihre Haare offen um ihren Kopf herumliegen und er damit spielen konnte, er liebte Frauen mit braunen Haaren, je dunkler desto besser, und sie hatte eine fantastische Figur, die in dem eng geschnittenen Kostüm aufreizend auf ihn wirkte. Endlich verschwindet sie aus seinem Blickfeld, und er kann sich dem Essen widmen, er hat Hunger, er kann sich gar nicht erinnern, wie lange es her ist, dass er etwas gegessen und getrunken hat, er schneidet ein Brötchen auf, streicht Butter darauf und köpft das Ei, genau richtig, so liebte er es, aus einer kleinen Tüte streut er Salz darauf und isst es mit Genuss. Dabei ruht sein Blick auf der Rückenlehne des Vordermannes, der dreht sich um, lacht ihn an und meint, er wolle sich doch einmal den Menschen anschauen, der sich eine solch angenehme Sonderbetreuung zu eigen mache.

„Das habe ich wohl alles meinem Charme und meiner Liebenswürdigkeit zu verdanken, versuchen Sie es doch auch mal damit.“

„Ja, ja“, antwortet der Glatzköpfige, „Charme ist der beglückendste Reiz einer Frau, aber auch ihr unbestimmbarster, wir Männer können uns eine Scheibe davon abschneiden“, dabei hebt er belehrend den Zeigefinger und fügt mit lauter Stimme hinzu, „aber Schönheit steht dabei nicht an erster Stelle, Charme ist eine Begnadung und nicht allzu oft unter die Frauen- und Männerwelt gestreut.“

Antonio widerspricht und meint, er könne ihm auf Anhieb zwei Hände voll Frauen nennen, die er zu dieser Kategorie zählen wollte, mit den Männern täte er sich da schwerer.

„Ja, ja“, wiederholt der Mann und dreht sich dabei um, „mit der Herzensbildung das ist schon recht schwierig, und leider wird damit viel Theater gespielt.“

Es dauerte keine drei Minuten und July ist wieder an seiner Seite, sie hält eine Kaffeekanne in der Hand und fragt, ob sie ihm nachschenken dürfe, das konnte sie, er hatte die Tasse in wenigen Schlucken geleert. Sie klappt den Tisch des Platzes neben ihm herunter und stellt die Kanne darauf und erklärt, wenn sie Zeit habe würde sie später einmal zu ihm kommen, wenn es ihm recht sei, und ein bisschen plauschen, mit diesen Worten war sie auch schon wieder entschwunden. Der Mann aus der Vorderreihe dreht sich noch einmal um und zwinkert ihm zu: „Manche Musen fallen einem wie reife Feigen in den Schoß.“

„Mein Herr, wollen Sie mich bitte mit ihren Belehrungen über Charme und Herzensbildung in Ruhe lassen, ich habe keine Lust und keine Zeit mich mit einem wildfremden Menschen über solche Dinge zu unterhalten.“ Das sollte genügen, denkt Antonio verärgert und der Mann dreht sich wortlos um und zuckt mit den Schultern.    

Als July wiederkommt und sich zu ihm setzt, erklärt ihr Antonio die peinliche Situation und meint, sie könne sich in Teufels Küche bringen, wenn eine Beschwerde über sie ausgesprochen würde, kein Arbeitsplatz sei heute mehr sicher, und sie sollten ihr tète-à-tète lieber ins nächtliche New York verlegen. July stimmt erleichtert zu und flüstert lächelnd, „aber eine Extraportion Eis bekommst du nach dem Dinner.“ Mit diesen Worten entschwindet sie und Antonio ist froh, weil er sich jetzt seinem Projekt widmen kann und hoffentlich für längere Zeit ungestört bleibt.