2008 Der kosmische Orgasmus
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EXPOSÉ

 

Titel:                                   Der kosmische Orgasmus

Form:                                   Roman

Handlungszeitraum:             3 Monate

Handlungsort:                      Wiesbaden

 

Prämisse:               Wer sich selbst verliert, wird zum Sklaven seines eigenen kleinen Ego.

 

Anschläge:       469.418

Schrift:            Garamond

Schriftgröße:   12

 

 

Story:

 

Vier 39jährige steuern auf die magische Zahl 40 zu, sie wollten es Schicksalsfrage oder Wendepunkt des Lebens nennen.

 

Sie haben sich durch eine Internetanzeige kennen gelernt und gründen den Club 39, sie treffen sich jeden Freitag zu einem Gesellschaftsabend, sie kochen, spielen und unterhalten sich miteinander.

 

      Alle Vier richten ihren Blick auf die Gefahr -------- den 40. Geburtstag ----------

      Alle Vier haben eine offene Kindheitswunde, die gelöst werden will.

      Alle Vier meinen, mit Humor kommt man besser durch’s Leben.

      Alle Vier haben Berufe, die sie mehr oder weniger zufrieden stellen; Josi ist Werbegrafikerin,   

                     Lilí hat einen Ökoladen, ist aber gelernte Psychologin, Siegfried ist Richter und                                                       

                     Manuel ist Philosophieprofessor.

     Alle vier decken ihre Lebenskrise auf.

 

An einem Spieleabend planen sie ein Rollenspiel, jeder schlüpft in die Rolle einer von ihm verehrten Persönlichkeit aus der Vergangenheit. Josefine Hohenfels wählt die Rolle von Anäis Nin, Autorin von ‚Das Delta der Venus’, Liese-Lotte Hufnagel wählt Lou Andreas-Salomé, Psychologin im Kreis von S. Freud und Freundin von Nietzsche, Siegfried Ungewiß wählt Friedrich Nietzsche, Autor von ‚Also sprach Zarathustra’ und Manuel Waldknecht ist Kantianer, aber er schlüpft alsbald in die Rolle von Zarathustra.

Für alle ist es schwer, sich in ihren Rollen wohl zu fühlen und es kommt zu Verwirrungen.

 

Bald bilden sich zwei Pärchen, aber es gibt Irrtümer, Lügen, Eifersucht, Misstrauen und traumatische Erlebnisse aus der Kindheit wollen nicht weichen.

Josefine, deren Probleme am größten sind, löst diese in New York bei einer Voodoo-Totenfeier.

 

Den Sylvesterabend genießen sie, entgegen dem alten Plan, in der Viersamkeit des Club 39, jetzt wollen sie wissen, wie es weitergehen wird.

   




 

Der kosmische Orgasmus

 

Katharina Pauly

 


 

Dieses Buch widme ich meinem Mann Fritz,

 meiner Tochter Anja & Marc-André

und meinem Sohn Christoph & Moni.

 


 

 

                                                                                                                                                                                                                                       Und

das Einhorn,

es ward lange nicht gesehen.

Hat es sich in die Wälder

des Herbstes zurück gezogen?

 

 

                                                                                                            1

 

 

Josi stand auf und lachte, „ich hab’s, das ist genial, wir spielen Theater und jeder spielt sich selbst“, und im selben Moment spürte sie, welchen Widerspruch sie ins Leben gerufen hatte, aber sie wollte mehr über ihre Freunde wissen, wenn man sich aufeinander einließ, dann wollte sie auch etwas über Licht und Schatten des anderen erfahren, sozusagen, woher kommst du, wohin gedenkst du zu gehen und wer bist du überhaupt. Josi wusste, wie heiß das Eisen sein konnte, das sie hier anfassen wollte, aber das schreckte sie nicht ab. War sie selbst bereit, alles von sich Preis zu geben? – Nein, in ihrem tiefsten Inneren schlummerte etwas, das das Tageslicht scheute …

„Ich liebe das Spontane“, fiel Lilí der Freundin ins Wort, „es kommt direkt aus meinem Herzen, läuft durch keinen Kaffeefilter und produziert keine schwarze Brühe.“

„Spitze, so wollte ich immer schon in meinen 40. Geburtstag hinein rutschen, wir feiern zusammen Sylvester, hier bei mir oder bei Manuel, wenn wir in die Sterne schauen wollen.“ Da spielte er auf den Wintergarten seines Freundes an, der für eine Feier zum Jahreswechsel sehr attraktiv war. „Ihr seid alle geladen und jeder bringt einen Überraschungsgast mit, Mann oder Frau, das ist egal, Hauptsache originell, dann sind wir also zu acht, das klingt gut.“ Neben Siegfried war ein großer brauner Hund aufgetaucht und wedelte mit dem Schwanz, „ist gut, du bist auch dabei, und das ist gut so, 9 ist meine Glückszahl.“ 

Er schien wohl nicht aufmerksam gewesen zu sein, musste Josi denken, davon war doch gar keine Rede mehr. Und überhaupt, wollte sie zweifeln, ob es gut war, jetzt schon Pläne für Sylvester zu schmieden, manche sahen ihr Leben einfach nur im Planquadrat, konnte man nicht erst mal abwarten, wie sich alles entwickelte, nachher bedauerte man, was man ins Leben gerufen hatte, das war das schlimmste, und vor allem, wenn man sich dafür auch noch schuldig fühlte.

Josi strich sich über die Augen, als wollte sie ein Gespenst verscheuchen, und auf die leise besorgte Frage von Manuel, ob ihr nicht gut sei, antwortete sie nur, ein bisschen überarbeitet, aber alles sei bestens.

„Ein Wort des Metaphysikers“, reagierte Manuel jetzt auf die Sylvesterpläne seines Freundes, auch er fühlte sich wohl irritiert, „jetzt sind wir mitten drin und keiner weiß Bescheid, wovon wir reden. Ihr seht, liebe Freunde und Freundinnen, der Professor ist mir in Fleisch und Blut eingeschrieben, und wie gesagt, jeder spielt sich selbst, spontan und unverblümt.“

„Dann sollten wir uns jetzt vorstellen, dann kommt man der Wahrheit noch am nächsten“, schlug Liese-Lotte vor. „Ich möchte mehr von euch wissen, ich habe das komische Gefühl, als kenne ich euch noch nicht, vielleicht können wir das ändern.“

„Ha, ha, --------- dass ich nicht lache, das höre ich zum ersten Mal“, rief Josi dazwischen, „hast du schon mal von Honigmilch mit Schirm, Charme und Melone gehört? Wer wird von sich selbst schon Schlechtes erzählen?“

„In der Werbung bestimmt nicht, und der gibst du dich ja mit Leib und Seele hin, Darling, aber vielleicht kannst du ja mal rein privat sein, ohne dich selbst verkaufen zu wollen.“

„Aber beleidigen gehört nicht zu unserer Abmachung, liebe Lilí, sonst mache ich bei diesem netten Gesellschaftsspielchen nämlich nicht mit, das entspricht ganz einfach meiner Selbstachtung, Cherie, du kennst meine Grundsätze,“ und bei sich dachte sie, sie liebte ja durchaus den Schlagabtausch, gerade mit ihrer Freundin, bei ihr fühlte sie sich eigentlich gut aufgehoben, aber vor den Männern wollte sie sich in Acht nehmen, man konnte ja nie wissen, auf was man sich da einließ, es konnte einem auch etwas falsch ausgelegt werden, und als männertötendes Wesen wollte sie nicht da stehen.

„Sorry, Darling, ich habe nur von der Werbemanagerin gesprochen, ihr kennt mich, ich tue keiner Fliege etwas zu Leide, wenn ich auch ein wenig direkt bin“, lächelte sie. Sie hatte ihre Beine neben sich gelegt und betrachtete ihre Wollsocken.

„Ich glaube, jetzt ist das Chaos perfekt, wir wollten uns einen schönen Freitagabend machen, das ist unser Gesellschaftsabend und nicht unser Streitobjekt, man kann sich doch nicht nur mit Brett- und Kartenspielen amüsieren, können wir nicht auch mal gemütlich miteinander reden? Ich bin mit einem Wunsch dran, das ist unsere Regel, und ich wünsche mir ein Rollenspiel ------ Hund, Katze, Maus -------“ Josefine lachte, „also noch mal von vorn, jeder spielt sich selbst und die Regel 1 heißt, sag die Wahrheit.“

„Sehr gut, Darling“, antwortete Siegfried, „ich bin der Gastgeber, normalerweise lasse ich Damen den Vortritt, aber heute fange ich mal mutig an, frei, unverblümt und vielleicht ein bisschen chaotisch.“ Er erhob sich und trat einen Schritt zur Seite, alle Blicke richteten sich auf ihn. Er strich über seine gebräunte Stirn, als wollte er sich eine Strähne von der Halbglatze schieben, seine Arme fielen senkrecht von den Schultern herab und sein Gesicht wurde von einem Lächeln bedeckt. „Gestatten, Siegfried Ungewiß, mit sz, promovierter Jurist im Staatsdienst, 39 Jahre alt, Junggeselle aus Leidenschaft, diese ist für meinen Beruf leider auf den Tiefstpunkt gesunken. Das sind meine Personalien. Liebe Freunde“, fuhr er fort. „Namen sind Schall und Rauch, und deshalb war mein Name mir immer mein liebstes Kind.“ Seine steife Haltung hatte sich gelockert und er setzte sich auf die Armlehne eines Polstersessels. „Ihr kennt mich, ich bin kein Intellektueller, wenn auch in mir eine Seele wohnt, die immer wieder nach dem Sinn des Lebens fragt, meine Qualitäten liegen mehr im Alltäglichen, doch dazu mehr aus berufenerem Munde. Auch hier scheiden sich die Geister, so wie überall, wir taugen nicht zum Einheitsmus, in das man nur noch Zucker und Zimt streuen muss. Ich kehre also zu meiner Festung zurück, zur Bühne meines Lebens, wie ein Fähnchen weht sie, sprich, meine alles geliebte Wankelmütigkeit, ich kann sie nicht leiden, was nicht wirklich wahr ist. Sie hat auch etwas Unkompliziertes an sich, also lacht mich ruhig aus, so ungewiss wie mein Name klingt, bin ich dennoch nicht, ich halte es sowieso gern mit meinem Vornamen, Siegfried, Siege zu feiern ist doch ausnehmend schöner, manchmal auch teuflisch“, fügte er noch schnell hinzu.“ Die anderen drei applaudierten anhaltend. „Und eins weiß ich“, fuhr er dann fort, „Wissen erobert bekanntlich die Welt, spielen werde ich, aber ich werde nicht schreiben, ich bevorzuge mehr den Antagonisten, den Gegenspieler, also den Täter, der andere ist der Erzähler und deshalb, lieber Manuel, möchte ich dich bitten, diese Geschichte in gelungene Worte zu fassen, ich vertraue mich dir an, du kennst mich besser als ich mich selbst kenne. Freunde braucht man wie das tägliche Brot. Ist es nicht so, andere wissen sowieso alles besser und verstehen es auch weiter zu erzählen, da sie doch alles von einem uneigennützigen Turm betrachten.“

„Danke, lieber Siegfried, es ist mir eine Ehre, bitte machen wir es nicht so förmlich, heute ist der 13. Oktober, es sind noch zweieinhalb Monate bis zum Neuen Jahr, und wir werden einer nach dem anderen 40 Jahre alt.“  Lautstarker Protest in Form von buh-Rufen, schau an, schau an ----- ojemine ------ das werde ich von Anfang bis Ende verschlafen ------ und vergessen ------ breitete sich aus, bis ein Sektkorken das Durcheinander unterbrach. Siegfried schenkte den Champagner in die Gläser ein, und wies auf die besondere Lage der Herkunft hin, dann verteilte er sie in die kleine Runde.

Jetzt hatte sein Freund doch tatsächlich die Quadratur des Kreises angesprochen, dachte Siegfried, die magische Zahl 40. Sollte man es eine Krise nennen, manche nannten es midlife-crisis, er wollte es Schicksalsfrage nennen oder Wendepunkt seines Lebens. Auf jeden Fall war es das Ereignis des Jahres 2007, das ihm und den anderen wohl auch nicht aus dem Kopf gehen wollte, das alle hochgradig traumatisierte und für eine Entscheidung reif war. Wollten sie allein bleiben oder konnte es noch etwas anderes in ihrem Leben geben, aber bitte nicht um jeden Preis, musste er denken, dafür war die Freiheit zu wertvoll und unzufrieden mussten sie alle nicht sein. Das Spiel, das er im Leben bisher gespielt hatte, konnte er auch fortsetzen, schwer würde es ihm nicht fallen, aber bei dem einen oder anderen bekamen wohl schon Endziele ein Gewicht, und er musste dabei an seinen Freund Manuel denken, zu den beiden Frauen hatte er bisher keine Meinung.    

 „Wer fällt nicht in ein Loch und zieht sich selbst wieder heraus, wie Phönix aus der eigenen Asche“, hatte einer gesagt, war das Josi gewesen, er hatte bei dem Durcheinander kaum etwas verstanden.

„Wenn man das nur könnte, das hätten schon einige getan“, fiel von einer Seite in die Runde.

„Die blauen Flecken möchte ich nicht auf meiner Haut zählen, da gehe ich doch lieber immer gerade aus.“ Das musste Lilí gewesen sein.

„Freunde, wir werden uns gegenseitig trösten, ich verspreche euch, unser aller Seelenheil zu retten und diesem gebührend zu dienen. Dem kannst auch du gewiss sein, lieber Siegfried, denn wie du weißt, ist mein adaptierter Name Immanuel Kant, Professor Doktor der Philosophie. Dieser Name verbürgt sich für die Wahrheit.“ Josi beobachtete, wie Manuel an die Küchenbar schritt, nur der Doktorhut oder ein Homburger auf seinem Haupt fehlten ihm noch zu seinem Pfauenschweif, musste sie denken, für manche Menschen ist ihr Stolz schon eine schwere Last, warum können sie nicht ein bisschen lockerer sein. Das Grinsen verkniff sie sich, denn sie wollte ja nicht provozieren und außerdem bewunderte sie ihn doch, er hatte einen klaren und starken Verstand, und praktisch war er auch noch, was wollte man mehr, musste Josi denken, aber was sie besonders an ihm schätzte, war seine liebevolle Art, die erstaunte sie immer mehr, das hatte sie ihm anfangs nicht zugetraut. Und er sah aus, wie sie sich Adonis vorstellte, vielleicht ein bisschen älter, erste graue Strähnen durchzogen seine schwarzen Haare und groß war er, schlank, athletisch und braun gebrannt, er hielt sich gern im Freien auf, und jetzt drang ein Gedanke in ihren Sinn, den wollte sie nicht zu Ende denken, er strahlte so viel Zärtlichkeit aus, dass sie sich vorstellen konnte, in seinen Armen zu versinken. Nein, lächelte sie jetzt, bitte Josi, bleib ruhig, du bist wieder mal viel zu schnell. 

„Du weißt, wie ich das meine, Siggi“, erklärte Manuel immer noch, „ich bin Kantianer und Weltenbummler, wir leben heute in einer anderen Zeit. Ich kehre also zurück zur Bühne meines persönlichen Weltengeschehens, ins 21. Jahrhundert, in eine elegante Dachgeschosswohnung, mit Blick auf die Weltkurstadt Wiesbaden und eine griechische Kapelle. Runter vom hohen Ross würde nun der eine oder andere sagen, dort sitze ich aber gar nicht und deshalb beginne ich jetzt von vorn, mein Name ist Manuel Liebstöckel, wie ihr wisst, sind meine Eltern jüdischer Abstammung, da staunt Ihr, liebe Freunde, das wusste noch keiner von euch, leider kann niemand einem Menschen ersparen unter seinem Namen zu leiden, deshalb habe ich den Mädchennamen meiner Mutter angenommen, gestatten, Manuel Waldknecht, Prof. Dr. phil., das klingt doch viel besser. Wie ihr wisst, bin ich genau so ledig und frei wie ihr, ich bin kein Kostverächter des anderen Geschlechts und lasse ungern Gelegenheiten unterhaltsamer Art verstreichen, aber das Alleinsein hat ja auch schöne Qualitäten über die noch zu reden sein wird.“

Kostverächter, was sollte denn das heißen, Frauen waren doch keine Ware, sollte sie sich doch in ihm getäuscht haben, überlegte Josi, oder wollte er einfach nur eine lockere Bemerkung abgeben, das tat er doch ganz gern, und man wunderte sich manchmal über seinen Geschmack, er drückte sich doch immer so gewählt aus, als stünde er auf einem Podium vor seinen Studenten. Na ja, beruhigte sie sich selbst, dann wollte sie das Wort lieber nicht überinterpretieren, und das überließ sie auch besser ihrer psychologischen Freundin Lilí. Stop, böse Gedanken wollte sie sich nicht erlauben, und außerdem machte sie es mit den Männern auch nicht besser. Bitte ein bisschen mehr Zurückhaltung üben, Josi, das würde deinem Seelenheil gut tun, außerdem war sie jetzt an der Reihe, musste sie denken. Sied überspielte die kleine Pause gekonnt. 

„Klappe 2, das Spiel hat begonnen, der Vorhang ist offen, jetzt sind wir Frauen dran.“ Josi erhob sich. Sie holte aus dem Kühlschrank eine Platte mit Sandwichs und stellte diese schwungvoll auf den Tisch. Das hatte sie für heute vorbereitet, sie hatte mit Siegfried getauscht, der heute keine Zeit hatte. Sie konnte es sich gut einrichten, und sie war dankbar, denn auch ihr konnte das mal passieren, dann hatte sie schon einen Bonuspunkt, dachte sie.

Siegfried griff als erster zu, er schien Hunger zu haben, und er nahm ein Käsebrot mit saurer Gurke. „Habe keine Lust mehr auf die ganzen Wurstgeschichten“, meinte er kauend. „Dieser BSE-Skandal hat mir den Appetit gehörig verdorben, mal hü, mal hott.“

Wie er das schon wieder meint, kann er nicht mal etwas für sich behalten, muss er allen anderen  die Lust am Essen verderben, dachte Manuel, und er griff nach einem Salamibrot mit einer Scheibe Ei. Kann nicht jeder entscheiden, was er essen will und was nicht? Das Leben dreht sich doch nicht nur ums Essen und Trinken, auch wenn die Liebe durch den Magen geht ---- und genau deshalb will ich ---- aber jetzt nicht, entschied Manuel, sonst begann die Diskussion über dieses Thema doch noch, dazu verspürte er keine Lust.

„Die beste Wurst und das beste Fleisch bekommt man immer noch auf einem Ökobauernhof, und diese gibt es rund herum, und mein Laden ist für euch immer geöffnet, zu jeder Tages- und Nachtzeit.“ Sie lachte, „also rund um die Uhr. Ich habe genügend Adressen, wo ihr auch noch gut einkaufen könnt, ihr müsst nur fragen“, meinte Liese-Lotte und sah einen nach dem anderen an. Alle schüttelten den Kopf, „dann seid ihr versorgt, das ist gut.“ Sie nickten und jeder kaute stumm vor sich hin.

Das ist die einzig wahre Lösung, dachte Manuel, ich habe keine Lust immer zu sagen, was gut und schlecht ist, das muss jeder selbst wissen, also werde ich mich nicht zum Erzähler berufen lassen, das ist die beste Entscheidung eines Kantianers, „ich lehne es ab!“, hörte er plötzlich in die Stille hinein sagen, in der nur die Klänge eines Klavierkonzerts zu hören waren, „der Erzähler zu sein, der Protagonist oder ---- egal ---- ich bin ich, der Erzähler soll sich eine andere Stimme suchen, er wird schon eine finden, die ihm angenehm ist und mit der er sagen kann, was er will, also bitte, Herr oder Frau Erzähler oder IN, Sie haben den Vortritt.“

Und damit hat er recht, dachte Siegfried, man musste sich nicht immer in die erste Reihe vordrängen, dort befand man sich in der Schussrichtung, war angreifbar und verletzbar dazu, Fehler wurden nicht verziehen und Leichtigkeit war nur in den Sternen zu suchen, aber diese brauchte er, um sein Glück zu finden, und um das verstanden zu haben, fühlte er sich alt genug.

Seine große Liebe hatte er verloren, und seitdem ging es in Liebesdingen nur noch bergab, er konnte sie nicht vergessen, seine Schwägerin, die Frau seines Bruders, inzwischen hatten sie zwei Kinder. Sie war seine Jugendliebe gewesen, und dann wandte sie sich plötzlich seinem älteren Bruder zu, der den Hof erbte. Er hatte das nie verstanden, er war schon Student gewesen und ging sofort von zu Hause weg, dieses Glück der Zweisamkeit konnte er nicht ertragen.

Aber warum dachte er sich nur immer mehr in dieses Trauerspiel hinein, ermahnte er sich, er wollte sich doch nur entspannen und seine Gäste genießen.  

Die kleine Gesellschaft scherzte und lachte, die silberne Platte leerte sich und nur noch ein Anstandsstück lag in der Mitte, das sich niemand als Letzter zu nehmen traute.

„Also Freunde, wo waren wir stehen geblieben? ------------- Die Frauen sind dran sich vorzustellen, und damit werde ich doch gleich beginnen, ich heiße Josefine Marie Hohenfels, mein Name klingt vielleicht etwas hochtrabend, ganz im Gegensatz zu meinem wahren Naturell, ich bin eher bescheiden, nur was die Männerwelt betrifft, habe ich besondere Ansprüche, das kennt ihr ja von mir, sonst könnte ich euch nicht als meine Freunde betrachten,“ sie lächelte und prostete den beiden Männern zu.

„Was willst du damit schon wieder sagen, liebste Freundin?“ Liese-Lotte machte ein beleidigtes Gesicht. „Meine Ansprüche gelten nur der Männerwelt!“, äffte Lilí die Freundin nach, „Und wie steht es mit deiner besten Freundin?“

„Du bist heute aber empfindlich, Cherie, du musst doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, ich wollte nur unseren charmanten Männern ein Kompliment machen.“ Manuel, der neben Josi auf einem Barhocker saß, legte seinen Arm um ihre Schulter und küsste sie auf die Wange, „danke, Darling, du verstehst es zu verwöhnen, das tut meiner geschundenen Seele gut.“ Josi lachte und meinte gleichzeitig, dazu habe der liebe Gott ja auch zwei Geschlechter geschaffen, wenn er zu allem Übel dann auch noch die etwas verräterische Schlange mit einem rotbackigen Apfel schickte. Flirten konnte sie und das tat sie auch liebend gern, das machte doch Spaß, musste sie denken, und diesen suchte sie überall, wenn sie die Zeit dazu hatte und am richtigen Ort war.

„Wir sollten uns ein Thema wählen“, bemerkte Liese-Lotte ungeduldig, „ wie wäre es mit der Emanzipation?“

„Um Himmels Willen, nur das nicht, damit haben wir doch keine Probleme und außerdem müssen sich heute eher die Männer emanzipieren“, antwortete Josi.

„Also, Josi, wie würde dein Debüt aussehen, du warst doch noch nicht fertig, sonst kommen wir heute Abend gar nicht mehr zum Spielen.“ Erwartungsvoll blickten die anderen auf sie.

„Ja, liebe Freunde, das ist eine gute Frage. Mein Aussehen kennt ihr, ein wenig schön und ein wenig teuflisch, meine roten Haare waren mir schon immer mein liebstes Kind, und das ist keine Frage des Protests oder politischer Überzeugung, diese brauche ich nicht auf dem Kopf zu tragen, es ist einfach nur ein Faible für die Farbe Rot, schon als Kind bevorzugte ich Puppen mit langen roten Haaren. Sie passen auch gut zu meinem eher blassen Teint und den Sommersprossen auf meiner Nase, ich glaube es sind sieben Stück,“ lachte sie und strich sich über das Gesicht und setzte ihre Rede fort. „Meine Figur könnte ich auch über einen Laufsteg wiegen, aber das ist nun mal eine Frage der Gene und kein Verdienst meinerseits. Ich wäre froh über ein paar Pfund mehr auf der Waage, aber man kann ja nicht alles bekommen, was man sich wünscht.“ Josi saß aufreizend auf dem Barhocker und ihr kurzer schwarzer Rock war so weit nach oben gerutscht, dass ein Ansatz von Spitze heraus blitzte, sie trug wohl Strapse oder halterlose Strümpfe, als sie es sah, schob sie den Rock ein Stück nach unten und lachte, „ja, ja, die Erotik spielt halt eine wichtige Rolle in unserem Leben, Männer gehören zu einem erfüllten Dasein, darüber besteht kein Zweifel, sie waren für mich schon immer interessant, schon im Kindergarten“, lachte sie spitz, „damals nannten sie sich allerdings kleine Jungs. Meinen ersten Liebesbrief erhielt ich mit vier Jahren, aber ich konnte leider nicht alles lesen, aber an die drei Worte, ich liebe dich, kann ich mich gut erinnern.“ Josi rutschte vom Hocker, sie stand etwas verloren da. „Doch die Entscheidung fällt schwer, man sagt zwar allzu gern, Frauen wollen geheiratet werden, aber damit habe ich kein Problem. Ich sehe leider vor allem die vielen kleinen Unbequemlichkeiten und das macht mir Angst ------------- ich denke immer, ich könnte den Besten verpassen ---------------“

Josis Stimme hatte sich erhitzt und jetzt lachte sie verlegen und knüllte eine Serviette zusammen, mit der sie gespielt hatte.

„Das ist genug, Josi, jetzt bin ich dran“, half Liese-Lotte der Freundin aus der peinlichen Situation heraus. Josi blickte sie dankbar an und legte ein Lächeln aufs Gesicht, sie konnte doch eine richtig gute Freundin sein.

„Das war ehrlich und sympathisch, Darling, es ist immer gut zu wissen, was man will, dann fange ich mal an und erzähle, wie es in mir aussieht, also ---- ich heiße Liese-Lotte Hufnagel, genannt Lilí mit Betonung auf dem zweiten i, Lilli war ich als Kind und das habe ich wie ein altes Kleid abgelegt.“ Sie lachte reichlich künstlich und sprach sofort weiter, „manche würden mich einfach in eine grüne Schublade sperren, aber wenn ich auf den Kernpunkt meines Charakters stoßen will, dann sind dort meine fünf Brüder zu finden, die haben mich geformt, und sie haben mir jeglichen Respekt vor dem männlichen Geschlecht genommen. Allen fünf habe ich die Windeln gewechselt, denn ich war nicht das Nesthäkchen, sondern die Älteste, immer hieß es Minna hin und Minna her, wenn ein männliches Wesen seine Zahnbürste bei mir lassen will, dann kann er sie gleich wieder einpacken ------------“ Liese-Lotte schob ihren wohl geformten Körper in Position und strich über ihre gut geformten Hüften, der enge Ringelpulli brachte ihre Konturen zum Ausdruck. „Ich liebe Männer, aber auch mir ist noch nicht der Richtige begegnet.“ Die junge Frau blickte auf Siegfried und dann in die Runde, dann lachte sie und meinte, „und das trübt meine Lebenslust kein bisschen, ich habe mein Singledasein selbst gewählt und sehe mich auch nicht als Mauerblümchen, und so allein bin ich ja auch wieder nicht, wenn ich nur an euch denke und meine Saunaschwestern.“ Liese-Lotte sprang auf und meinte: „Ich hab noch was für unsere gute Laune mitgebracht.“ Sie holte von der Garderobe mehrere Beutel mit Knabberzeug und legte sie auf die Theke. Siegfried hatte ein großes Kabarett bereit gestellt und füllte alles in die Schalen, gleichzeitig steckte er sich eine halbe Walnuss in den Mund.

„Du bist ein Schatz und sorgst wieder mal für unser leibliches Wohl, Cherie, aber bitte setz alles auf meine Rechnung, ich bin heute der Gastgeber.“

„Ist schon geschehen, ich brauche ja nur in meine eigenen Regale zu greifen, bevor ich herkomme, und es ist auch alles ohne Chemie, also lasst es euch schmecken,“ sie tippte leicht an das Holzbrett und es drehte sich wie ein Karussell.

„Also Kinder, was nun? Der erste Streich ist getan, jetzt folgt der zweite. Wie soll’s weiter geh’n?“ Josefine wollte endlich zu ihrem Rollenspiel kommen und sie meinte jetzt: „Ich habe eine Idee, eine Frage, die mir immer wieder auf den Nägeln brennt ist die, welche Kräfte die Welt aus den Angeln heben könnte, dieses Mal würde die Arche Noah nicht alle Überlebenden aufnehmen können“, lachte sie und sah die Freunde herausfordernd an, aber keiner schien antworten zu wollen.

Bei dem Wort Überlebende zuckte Manuel zusammen, die Todesangst brannte zwar nicht mehr unter seinen Nägeln, aber da war immer noch eine empfindliche Stelle in seinem Innern. Zum Glück hatte er sie besiegt, er wusste ja auch, womit sie etwas zu tun hatte, seine Großmutter hatte den Holocaust überlebt, aber sie war trotz allem ein fröhlicher Mensch geworden, und nur selten war die Rede davon. Und dann geschah eines Tages ein Unfall, er drohte im Bodensee zu ertrinken und konnte nur von einem mutigen Menschen gerettet werden. Die Eltern hatten nichts von seiner Not bemerkt, und nun zwangen sie ihn den Rettungsschwimmer abzulegen, um sich selbst wohl retten zu können, dachte er. Bitterkeit stieg in ihm auf, das war eine schlimme Marter für ihn gewesen, doch die Eltern blieben unerbittlich. Aber -------- wo hatte er sich da nur hinein gedacht, er wollte sich lieber wieder seinen Freunden zuwenden, musste er denken, wozu waren sie denn hier, doch nur, um einen schönen Abend zu haben.

„Es reicht doch, wenn für einen Prototypen jeder Nation ein Platz reserviert wird, alle anderen kannst du Klonen, das könnte die Vielfalt retten“, gab Siegfried sarkastisch als Antwort, etwas besseres schien ihm nicht einzufallen. Schwanzwedelnd stand die Hündin neben ihm und sah ihn mit treuen Augen an. Er strich über ihr glattes Fell und ging zum Kühlschrank und holte die angebrochene Flasche Champagner und eine Süßigkeit für seinen Hund, „ja, dich nehmen wir auch mit, Ada, du hast es dir verdient.“ 

„Darf ich euch an eine wichtige Verabredung erinnern, liebe Freunde, der Freitagabend macht einen großen Bogen um jede Art von Politik, wir heben die Welt nicht aus den Angeln mit unseren guten und bösen Worten, also sind diese eher für die Katz‘, sie überhitzen nur unsere Gemüter, das ist pure Verschwendung kostbarer Energie.“ Manuel hatte gesprochen und setzte dabei eine etwas finstere Miene auf. „Es reicht schon, wenn unsere Stimme an der Wahlurne zum Vabangspiel benutzt wird und die Geschichte werden wir auch nicht mehr ändern, lasst uns lieber bei diesem Spiel uns selbst inszenieren, dann können wir uns auch amüsieren, also los Freunde, die Kreativität ist gefragt, wer hat eine gute Idee?“ Alle sahen sich ratlos um und blickten auf Josefine. „Ich“, kam es etwas zart aus ihrem Mund, „jetzt werde ich also aufs Exerzierfeld geführt, also gut, ich verstehe schon, man hält ja, was man verspricht, das war schon immer meine Devise, aber es heißt auch, lehne dich nicht zu weit aus dem Fenster, liebe Josi. Also ----“ fuhr sie unbeirrt fort, „wenn schon keine Politik, dann eben etwas, was jeden persönlich betrifft, für mich ist das Leben eine Frage von Ästhetik und Schönheit, aber heute ist ja ein Schönheitswahn ausgebrochen, der zum Himmel schreit, alles dreht sich nur noch ums Prestige, wer hat mehr, wer ist mehr und wer ist der oder die Schönste.“ Josi sah die anderen fragend an.

„Ja“, meinte Manuel mit langsamer Stimme. „Das ist schon wahr und wie wird daraus ein Theaterstück?“

„Ganz einfach“, rief Josi, „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der oder die Schönste im ganzen Land? Alles dreht sich um Eitelkeiten, jeder fühlt sich wichtig, und wichtig ist auch wichtig, ich schlage vor, jeder wählt seine Lieblingsperson aus der Geschichte aus und schlüpft in deren Haut, schön wäre das mit passenden Kostümen.“

„Dann müssen wir das Stück auf nächsten Freitag verschieben, und außerdem schlage ich vor, wieder mal richtig zu kochen, ein Menü mit vier Gängen, jeder übernimmt einen davon, wir telefonieren am Montag“, erklärte Manuel, der sich gern für die Logistik zuständig fühlte.

 

Die Zeit war wie im Flug vergangen, dachte Manuel und er zog den Kragen seines Anoraks in die Höhe, es war kalt geworden, der kleine Fußmarsch nach Hause würde nicht lange dauern, er wohnte gerade mal auf der anderen Seite des Tals. Von den beiden Frauen fiel die Verabschiedung recht dürftig aus, sie waren wohl etwas verfroren, sie düsten fast gleichzeitig mit ihren Autos davon und veranstalteten noch zur Freude der Anwohner ein kleines Hupkonzert. Es hatte den Eindruck, als ginge ihm Josi aus dem Weg, schade, da würde es noch viel Arbeit geben, aber er liebte das Schnelle auch nicht, und so war doch alles bestens, er musste lächeln, weil das ein Lieblingswort von Josi war. Irgend etwas zog sie magisch zueinander, das spürte er, alles im grünen Bereich, dachte er, obwohl er diese Sprüche gar nicht liebte.

Aber dieses Spiel der Frauen forderte seine Skepsis heraus. Er wusste, dass er den Professor aus Königsberg wählen würde, seine Ideen Zum ewigen Frieden würden immer eine Grundfeste für ein humanes Leben auf der Erde bleiben, aber er kannte auch andere Facetten des kleinen Mannes, vor allem seine Reiseunlust, die eine wahre Mönchhausiade verursachte; wollte sich heute jemand solch unwissenschaftliche Schnitzer erlauben, sähe er die Universität nur noch einmal von innen, und seine Heiratsabsichten musste er auch an den Nagel hängen, auch die waren nicht von geschickter Natur. Das Theaterspielen in dieser Rolle würde ihm schwer fallen, aber was sollte er machen, wenn er sich nicht als Spielverderber beweisen wollte, dachte er.

Aber außerdem, was sollte er sich schon heute einen Kopf über etwas machen, was vielleicht ganz anders kommen wollte. Manuel war in großen Schritten quer durch den Park gegangen, und nun stand er auch schon vor seiner Haustür.